Großer Erzähler vom Rand der Gesellschaft

Literatur: Die Bücher des Schriftsteller-Desperados Jörg Fauser ernten einen späten Ruhm.

Düsseldorf. Er sah aus wie ein Versicherungsvertreter, mit Discounter-Hemd und klobiger Brille. Doch es war nur ein Tarnanzug, den sich Jörg Fauser überstreifte: Hinter dem unscheinbaren Outfit verbarg sich Deutschlands wildester und härtester Schriftsteller. Jemand, der sich das Rock’n’Roll-Credo "Live fast, die young" zu eigen machte wie kein zweiter seiner Zunft. 1987 starb er im Alter von 43 Jahren, weil er betrunken eine Autobahn nahe München überquert hatte und dabei überfahren wurde.

Jörg Fauser, der in diesem Jahr seinen 65. Geburtstag gefeiert hätte und als großer Erzähler vom Rand der Gesellschaft gerade wiederentdeckt wird, hat alles gemacht, was ungesund ist: Er hat phasenweise Heroin gespritzt, sich bis ins Delirium gesoffen. Sein wichtigstes Rauschmittel war ihm aber das Schreiben. Er hat die Wirklichkeit geschildert wie seine Vorbilder, die kantigen Kerle der amerikanischen Prosa. Schnörkellos wie Hemingway, unbestechlich wie Bukowski, kühl wie Chandler.

In seinen Romanen sympathisierte Fauser mit ausgestoßenen Schmuddelkindern, für die im Mainstream der Bundesrepublik der 60er und 70er Jahre kein Platz war. In seinem Krimi "Schneemann" (1981) erzählt er von einem lächerlich erfolglosen Gauner namens Blum, der zufällig an einen dicken Batzen Kokain gerät und daran scheitert, die Drogen gewinnbringend zu verkaufen. Das Buch wurde 1984 mit Marius Müller-Westernhagen in der Hauptrolle verfilmt.

In seinem autobiografischen Hauptwerk "Rohstoff" (1984) blickt Fauser auf sein rastloses Leben als junger Autor zurück: In Istanbul vegetiert er als Opiumabhängiger vor sich hin, im Frankfurt der Sponti-Ära schlägt er sich als Wachmann und Paketpacker im Versandhandel durch. Und seine Bücher will kein Verlag haben - sie passen in kein Programm.

Zu seinem Selbstverständnis gehörte es, der grimmige Außenseiter in der deutschen Literatur zu sein. Was auch sein irritierend gewöhnliches Erscheinungsbild erklärt: Das war ihm ein Mittel zur Abgrenzung von der Schriftsteller-Szene. Fauser verachtete die Pfeife rauchenden Großwesire des Kultur-Establishments wie Grass, Walser oder Richter. Aber ein im damals gängigen Sinne Aufsässiger war er auch wieder nicht, denn genau so war ihm die 68er-Bewegung zuwider, deren Kommunarden die sozialistische Weltrevolution planten und sich doch nur in verwahrlosten Wohngemeinschaften den Kopf bräsig kifften.

Fauser war der Publizist aus dem Underground. Er verfasste nicht nur Romane, sondern schrieb auch Kolumnen für Stadtmagazine und Reportagen für Zeitschriften. Doch obwohl talentiert, schaffte er zu Lebzeiten nie den großen Durchbruch.

Seine Stärke bestand darin, einen präzisen Blick auf die Milieus der Republik zu werfen. Ankreiden kann man ihm höchstens die Stilisierung seiner Protagonisten zu heroischen Einzelgängern: Darin schwingt dann doch eine leicht abgeschmackte Männerromantik mit, die besonders bei seinen amerikanischen Vorbildern schon zur Genüge ausgereizt wurde.

Im Diogenes-Verlag ist nun, 22 Jahre nach seinem Tod, eine neunbändige Werkausgabe mit Romanen, Erzählungen und journalistischen Arbeiten erschienen. Das kommt einer späten Aufnahme in den deutschen Literaturkanon gleich.

Jörg Fauser: Fauser - Werkausgabe in neun Bänden. Diogenes, Verlag, Zürich, 79 Euro, 3216 S.

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