Gott – Bild oder Begriff?

Die Düsseldorfer Rheinoper stemmt mit „Moses und Aron“ von Arnold Schönberg ein Schlüsselwerk der Moderne.

Düsseldorf. Nach diesem Abend weiß jeder, warum die Oper "Moses und Aron" selten aufgeführt wird: Möglichst 100 Choristen verlangt sie, 20 Vokalsolisten und außer großem Orchester vierfache Bläserbesetzung, üppig bestücktes Schlagwerk, Klavier, Harfe, Celesta, Mandoline. Oft hat Arnold Schönberg sich mit dem mosaisch-jüdischen Glauben auseinandergesetzt, nie mehr jedoch so grundlegend wie hier.

Der Konflikt zwischen den Brüdern Moses und Aron spiegelt einen explosiven Zwiespalt, der bis heute die Religionen trennt: Ist er, der "Unvorstellbare, Unsichtbare", reine Idee, absoluter Gedanke, "das Gesetz" (Moses), oder darf er als Abbild in allen Gestalten vergöttert werden (Aron)?

Regisseur Christof Nel findet zu einem geradezu mosaisch-aronitischen Kompromiss zwischen Abstraktion und Bildermacht. Das hebräische Volk (in heutiger Straßenkleidung, Kostüme: Silke Willrett) hat sich aus ägyptischer Gefangenschaft auf die Flucht durch die Wüste aufgemacht, angeführt von Moses, dem skrupulösen, aber auserwählten Philosophen, und Aron, dem Demagogen im Dinnerjackett. I

n bläuliches Licht getaucht die Bühne (Roland Aeschlimann), ein hoher Betonbau mit Schlitzen wie Schießscharten - aus ihnen werden Feuer- und Wolkensäule den Israeliten den Weg weisen - und einer breiten, gewundenen Treppe ins Nichts. Zunächst erhebt sich ein unheimlicher Wind, der Menschen, Steine, Blätter, Sand jagt, ein metaphysischer Wind, der so schnell aufhört, wie er gekommen ist. Und, als verkünde er eine Botschaft, mehrmals seine Stimme erheben wird.

Erst streitet das Volk, das zurück will zum alten Götzendienst, mit Moses, dann mit Aron. Moses entzieht sich und verweilt vierzig Tage auf dem Sinai. Umwickelt mit einer Decke und weggesperrt mit einem Maschendraht, liegt er in der Ecke über einem Hocker, lauscht und schreibt von Zeit zu Zeit.

Während Aron (der aus Düsseldorf stammende Bayreuth-erfahrene Tenor Wolfgang Schmidt) der Stimme in allen Varianten - scharf, machtvoll, lyrisch, innig - mächtig ist, steht Moses (der Stuttgarter Kammersänger Michael Ebbecke) ein häufig "nur" gestammelter, aber äußerst kunstvoller, vor allem vorbildlich artikulierter Sprechgesang zur Verfügung.

Und so stöhnt er am Ende des Fragment gebliebenen Werkes über dem zusammen gebrochenen Aron: "O Wort, du Wort, das mir fehlt!"

Doch zunächst ringt Aron mit den Stammesfürsten und Ältesten. Sie gieren nach Blutopfern, schwingen wie auch das Volk scharfe Dolche. Der Kopf des Goldenen Kalbes wird verehrt, vier weißgewandete Jungfrauen nehmen freudig den Ritualtod auf sich. Das Volk rast, doch zum Glück hat Regisseur Nel die Orgien stark verkürzt. Der vom Sinai zurückkehrende Moses ist entsetzt - und noch einsamer in seiner Gotteserkenntnis.

Anderthalb Jahre hat Gerhard Michalski mit den Chören gearbeitet. Denn es gibt kaum merkfähige melodische Linien. Auch sind die Tempi ihrer Partituren oft andere als die des Orchesters. Mitunter stellen einzelne Gruppen widerstreitende Tendenzen im Volk dar.

Doch an der Rheinoper sind alle Tücken aufs Beste bestanden und das Resultat aller Chor-Mühen ebenso überwältigend wie die Leistungen der Düsseldorfer Symphoniker unter dem souveränen Wen-Pin Chien. Drohen die Bässe machtvoll, flirren und schweben Oboe und Flöte überirdisch, und Gottes Zorn tobt aus einem unheilvollen Tutti (Klangregie: Andreas Breitscheid).

Dass das Publikum mit gespannter Andacht einer Zwölfton-Oper lauscht und ein viertelstündiger, donnernder Applaus mit vielen Bravos folgt, gibt’s gewiss nicht alle Tage.

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