Festspiele: Man ist berauscht, doch nie ergriffen

In Bayreuth herrscht die neue Unentschiedenheit.

Bayreuth. Die Machtübergabe in Bayreuth gelang eher halbherzig als souverän. Die Halbschwestern und neuen Chefinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier wirken noch arg hilflos und gestresst angesichts einer Aufgabe, für die sie noch keine rechte Zukunftsvision gefunden haben. Das Alte wird noch einmal aufgekocht und in zeitgeistigerem Gewand als Public Viewing und Livestream auf den Markt gebracht. Ob das reichen wird?

Es ist eine Saison ohne Neuproduktionen. Den Auftakt bildete die umstrittene "Tristan und Isolde"-Inszenierung von Regisseur Christoph Marthaler. Trotz musikalischer und gesanglicher Bestleistung fand sie keine Zustimmung beim Publikum. Daran konnte auch die große Medien- und Politikprominenz bei der Premiere nichts ändern. Man darf gespannt sein, ob die Übertragung auf den Festplatz und das Webscreening am 9. August eine bessere Resonanz finden werden.

Verdient hätte es die hochsensible Arbeit. Auch die dritte Wiederaufnahme des "Ring" blieb im Ganzen enttäuschend. Tankred Dorst war 2006 für Lars von Trier eingesprungen. Seine Deutungen und Bilder entstammen eher seiner eigenen Mythenwelt, etwa seinem Düsseldorfer "Merlin", als dem Wagnerschen Kosmos.

Die Götter leben in einem undefinierbaren Zwischenbereich unter Autobahnbrücken und in ausgedienten Lagerhallen, ohne von den Menschen auch nur wahrgenommen zu werden. Siegfried (Christian Franz) gerät ihm zu einem tollpatschigen Lausbub ohne Charisma, eine Karikatur aus Furcht vor allem Heldentum.

Der ungekrönte König des Festspielhügels heißt Christian Thielemann. Er reißt die Wagnergemeinde zu wahren Begeisterungsstürmen hin. Die Presse überschlägt sich in hymnischen Elogen. Seine Wagner-Interpretation wird den ganz großen Namen der Vergangenheit an die Seite gestellt. Und doch entspricht sein Stil ganz der Unentschiedenheit, die zur Zeit in Bayreuth herrscht.

Keiner wird bestreiten, dass es ein Genuss ist, mit Thielemann 15 Stunden lang in den Wonnebädern wagnerscher Klangwelten zu schwelgen. Doch hat die Sache einen Haken. Diese Musik hat nur sich selbst zum Inhalt. Was Thielemann meisterlich bis ins Feinste ausdeutet, ist eine große Partitur, von der er jedes Piano, jedes Crescendo, jede Zäsur kennt. Man ist berauscht, doch nie ergriffen. Man lässt sich fallen und vergisst dabei, was man eigentlich sieht. Für den Symphoniker Thielmann sind auch die Stimmen nur Klang. Sie tönen und dröhnen, allzu oft auf höchstem Pegel. Noch nie war der Text in Bayreuth so unverständlich wie in diesem Jahr.

Thielemann ist ein exzellenter Musiker, doch kein Weltendeuter. Er hat keine Vision von Entsagung, Untergang und Erlösung. Ihm ist es gleich, ob Siegfried wie ein Waldschrat oder Brünnhilde wie eine Bordellmutter aussieht. Hauptsache, sie liefern ihre Töne. Die hohlen Gesten der Regie passen gut zu einer inhaltslosen Musik, die sich denkbar undramatisch in einer Religion des Klanges verliert. Auch hier wird man neue Wege gehen müssen, wenn man tatsächlich ein jüngeres Publikum erreichen.

So schön und gut sie auch ist - um dieses Ziel zu erreichen und langfristig zu halten, genügt eine Kinderoper nicht. Die gibt’s in Köln seit vielen Jahren.

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