"Europa"-Uraufführung: Brücke zwischen den Zeiten

Sebastian Baumgarten bringt in Düsseldorf Lars von Triers Kinofilm „Europa“ auf die Bühne des Schauspielhauses.

Düsseldorf. Er fürchtet die Experimente in Deutschland. Man hat einiges gehört während des Krieges. Auch in Amerika. Aber 1945 - im Jahr Null - ist Hitler ein Schrecken von gestern. Leo bricht auf: von New York nach Frankfurt, um als Schlafwagenschaffner etwas zu bewegen. Seine Devise: "Es ist an der Zeit, dass jemand diesem Land ein wenig Freundlichkeit entgegenbringt." Die erste Station führt ihn ins Versuchslabor. Ein Arzt testet seine Gesundheit: Ohrenbetäubendes Piepen dröhnt durch die Kopfhörer, Gewehrsalven lassen ihn zusammenzucken. Er läuft, duckt sich und robbt auf Kommando. In "Europa" schlägt Lars von Trier mit einem Experiment geschickt die Brücke zwischen den Zeiten. Per Hypnose versetzt er den Probanden Leo Kessler von der Psychiater-Couch in den USA in das zerstörte Deutschland. Der Therapeut führt den jungen Mann durch die Geschichte, um so die Vergangenheit zu erforschen. 1981 zeigte der Filmemacher "Europa" im Kino als Teil einer Trilogie über den Verfall des alten Kontinents. Im Düsseldorfer Schauspielhaus bringt Sebastian Baumgarten das Stück, das von Trier gemeinsam mit Niels Vorsel geschrieben hat, nun als Uraufführung auf die Bühne. Medienreich inszeniert er seine Vision dieses Albtraums, die in der Bilderflut allerdings etwas untergeht.

Von Werwölfen, Kirchenmännern und Juden aus dem Exil

Auch im Jahr Null gibt es keinen Neuanfang in Deutschland. Die Vergangenheit ist allgegenwärtig. Leo trifft sie in seinem Zug: Werwölfe heißen diese Terroristen, die noch immer für den Sieg der aufrechten Deutschen töten. Unternehmer, die mit billigen Tricks und der Hilfe der Alliierten ihre Unschuld dokumentieren. Kirchenmänner, die Gottes Segen jedem erteilen, der sie an seinem Tisch fürstlich bedient. Und Juden aus dem Exil, die nicht wagen ihre alte Heimat zu betreten. Der Arzt am Anfang ist nur eine pixelige Projektion, die Kopfhörer schieben sich von oben ins Bild. Doch Leo (Ilja Niederkirchner) ist Fleisch und Blut. Baumgarten verbindet Videoelemente mit realen Spielszenen und erreicht damit einige Male ansprechende Effekte. Die Drehbühne (Bühne: Alexander Wolf) ist meistens in Bewegung. Überzeugend stolpert der Protagonist durch den Zug, tanzt vom Idealismus beschwingt um seine neue Liebe, die Werwölfin Katharina (Nadine Geyersbach), und taumelt von einer Aufgabe zur nächsten. Bis auch er nicht mehr weiß, welche Seite eigentlich die richtige ist. Die Wahl zwischen Liebe und Moral lässt ihn scheitern: Leo zündet die Bombe, der Zug und seine Idee vom freundlichen Deutschland geht unter. Was in einigen Szenen gut gelingt, gerät an anderen Stellen zu einem bemühten Spektakel: Dem Druck seiner Schuld ist "Zentropa"-Chef Max Hartmann (Pierre Siegenthaler) nicht mehr gewachsen. Er ersticht sich blutreich unter unerträglicher Musik und lautem Geschrei seiner Kinder Katharina und Larry (Daniel Nerlich). Auch die Modelleisenbahn spielt eine Nebenrolle, die sich nicht ins Ganze fügt. Ausgestattet mit einer Kamera fährt sie durch eine Landschaft aus Verpackungen und projiziert einige der Firmennamen, die den Krieg recht gut überlebten. Dem Sog des hypnotischen Experiments erliegt der Zuschauer dabei nicht. 2 Std., ohne Pause, Auff.: 7. u. 19.11., Tel.0211/369911.

Inszenierung: 3 von 5 Punkten

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