Erntezeit für Brahms: Anne−Sophie Mutter im Interview

München. Im April ist sie auf Tournee in Taiwan und Japan, im Mai stehen Konzerte in Paris undWien auf dem Reiseplan, im Juni ist sie neben anderen deutschen Städten in der Berliner Philharmonie zuhören − die Ausnahmegeigerin Anne−Sophie Mutter füllt auch 30 Jahre nach Beginn ihrer Weltkarriere diebedeutendsten Konzertsäle der Welt.

Gerade erst hat die 46−Jährige den „Preis der Kulturstiftung Dortmund“für ihr Lebenswerk erhalten.

Der Brahms−Preis 2011 der Brahms−Gesellschaft Schleswig−Holstein wurdeihr soeben zuerkannt. Passend dazu steht ihre neueste CD mit Sonaten für Violine und Klavier von JohannesBrahms seit einigen Tagen in den Regalen der CD−Läden.

Im Interview mit der Nachrichtenagentur dpaerzählt die Künstlerin von Weltrang, warum für sie jetzt „Erntezeit“ bei Brahms ist, dass sie den Konzertsaaleinem Tonstudio vorzieht − und sie verrät, warum sie stets im schulterfreien Kleid konzertiert.

Mutter: „Dahinter steckt kein Plan. Die Aufnahme ist das Ergebnis eines organischen Entwicklungsprozesses. Auch bei Brahmsist es ein Reifeprozess, der sich über Jahrzehnte hinweg gezogen hat und bei dem jetzt Erntezeit ist. Ich hattedies vor drei, vier Jahren nicht geplant. Was Aufnahmen angeht, bin ich spontan. Wir planen maximal zwölfMonate im Voraus.“

Mutter: „In den letzten Jahren habe ich immer wieder eine der Sonaten in ein Recital−Programm eingebaut. Jetzt kehre ich zu diesem Triptychon zurück und spieledas Violinkonzert auch verstärkt. Das ist ein Prozess, der sich oft auch aus der extremen Bandbreite meinesRepertoires ergibt: der Sprung von der Moderne zurück ins Barock und dann in die Mitte, also das Zentrierender eigene Person und von da aus die Ausschau in die Ferne und zurück zu Vivaldi.“

Was planen Sie mit Antonio Vivaldis Werken?

Mutter: „Ich werde spannende, supervirtuose Vivaldi−Violinkonzerte einstudieren und dann auf Tournee spielen. Mein Bemühen ist es, den großen Bogen der Musikgeschichtenicht aus den Augen zu verlieren und neu zu spannen in die Zukunft, aber die Mitte nicht zu vernachlässigen.Denn in der Mitte des klassisch−romantischen Repertoires finden wir natürlich die perfekte Symbiosezwischen Intellekt, Emotion und Virtuosität. Und die Extremität der zeitgenössischen Musik verlangt auchimmer wieder den Ausgleich des romantischen Gefühls in der Musik des 17., 18. und 19 Jahrhunderts.“

Mutter: „Nein. Ich werde ganz spontan vorgehen.Aber es wird sich sicherlich auch in den nächsten Jahren herauskristallisieren, welches Repertoire pflückreifist.“

Mutter: „Uraufführungen spielen eine großeRolle, nachdem ich mich von der Uraufführung "In tempus praesens" etwas erholt habe und dieses Jahr nochsehr viele Erstaufführungen dieses herrlichen Werks von Sofia Gubaidulina spiele. Dieses zeitgenössischeWerk ist immer noch sehr dominant in meinem Leben. Ein Traum in New York verwirklicht sich. Ich werdedort drei Programme über zwei Saisons verteilt gestalten. Ich leite meinen Mozart−Zyklus, die Uraufführungvon Rihms "Lichtes Spiel" wird geleitet von Michael Frances, einem führenden englischen Dirigenten seinerGeneration. Eine weitere Uraufführung ist "Time machine" von Sebastian Currier. Streichtrios, Recital undein Kammermusikabend mit Mitgliedern des New York Philharmonic Orchestras runden die Residency ab.“

Mutter: „Natürlich lieber im Konzertsaal, ohneFrage. Das ist auch der Grund, warum die Brahms−Sonaten in einem Konzertsaal, wenn auch in einemBibliothekssaal, aufgenommen wurden. Die Atmosphäre mit Publikum ist dort leichter vorstellbar. Wir habendann auch im Anschluss an die Tonaufnahmen die Brahms−Sonaten für DVD an zwei Abenden für Publikumgespielt.“

Mutter: „Lieber Live−Mitschnitt, wenn sichdas irgendwie realisieren lässt. Wobei es Werke gibt wie beispielsweise die G−Dur−Sonate von Brahms, dieideal für Mikrofon sind. Dieses Werk ist derart delikat, dass es problematisch ist, diese Atmosphäre in einemgroßen Raum zu erschaffen. Insofern bin ich froh, dass es zwei Versionen der G−Dur− Sonate gibt: zumeinen die sehr intime Aufnahme für die CD ohne Publikum und zum anderen die immer noch sehr private,aber für ein DVD−Publikum direktere Version.“

Mutter: „Es begann mit den großen Maestri. Der Personenkult zumBeispiel um Maria Callas ist ein weiteres Beispiel. Die Musik lebt weiter wegen und durch starkePersönlichkeiten, die der Musik so viel von sich geben. Man möchte hinter der Partie etwa der Norma auchFrau Callas besser kennen und verstehen lernen. Das fand ich in der Vergangenheit der Musik gar nichtabträglich. Inzwischen genügt aber sehr oft die polierte Oberfläche und das schöne Kleid. Eine absolut fataleEntwicklung, die den glatten schönen Klang hofiert, der Vermarktung sehr viel Gewicht schenkt und nichtunbedingt den Inhalt immer so ernst nimmt.“

Mutter: „Wie bitte? (lacht)Nein. Es gibt ja immer wieder nicht gelungene Momente bei Solisten oder auch bei Kollegen im Orchester.Aber das Instrument ist nie schuld. Bei einem Ferrari fallen vielleicht mal Zündkerzen aus, aber eineStradivari ist immer perfekt. Man muss sich immer wieder auf einen neuen Dialog einlassen und die mentaleKraft besitzen, ein Werk immer wieder neu zu gestalten. Ich habe die ideale Geige gefunden. Die Frustrationliegt dann in mir selbst und nicht in dem Instrument.“

Mutter:„Nein. Ich dachte, das ist doch kein gutes Vorbild für meine Kinder. Vielleicht später wieder.“

Mutter: „Ichhabe drei Monate nicht konzertiert aber in dieser Zeit diese Brahms−CD und −DVD−Produktionaufgenommen. Mich beschäftigen viele Dinge, für die ich sonst keine Zeit habe und es war eine sehrbefruchtende Zeit. Allerdings auch eine Phase, in der ich meine sehr vollen Terminkalender der nächstenJahre noch einmal neu revidierte in Richtung weniger Konzerte. Aus eigenem künstlerischen Anspruch oderaus Rücksicht auf Ihre Kinder? Mutter: „Es gibt immer wieder Situationen im Leben, in denen einembewusst wird, wie viel Glück man hat, wie viele Schutzengel die eigenen Kinder haben und wie kurz dasLeben ist und deshalb möchte ich es nicht ganz aus den Augen verlieren, auch zu leben.“

Mutter: „Vielleicht. Intensität war immer mein oberstes Maxim und so ein kurzes Innehalten gibt einem dieChance, auch das Leben auf der Bühne als Geschenk anzunehmen und nicht nur als eine Aneinanderreihungvon großen Herausforderungen, denen man sich stellen will. Ich stelle mich gerne großen Herausforderungen,ich möchte nur nicht, dass es zum Selbstzweck wird, den Bergbezwingungen noch weitere, größere, nochschwierigere draufzusetzen. Manchmal ist es ganz schön, eine Woche nichts Aufregendes meistern zuwollen.“

Mutter: „Oh doch. In den drei Monatenhabe ich große Zeitblöcke nicht gespielt, ein mental eminent wichtiger Prozess. Im übrigen sind Ruhephasenfester Bestandteil meiner Planung. Ich bin kein Musiker, der durch Repetition lernt, ich übe im Kopf, aberübe auch mit der Geige. Ich bin jetzt niemand, der zwölf Stunden am Tag üben muss, um sichwohlzufühlen.“

Mutter: „Ja, und dieser ist natürlich der Wichtigste. Wenn man sich an dieses symbiotische Einssein mit demInstrument nicht nur auf einer geistigen Ebene, sondern auch auf einer physischen eingelassen hat, ist es erstmöglich, um in den Zustand eines Flows während des Konzertabends zu kommen.“

Mutter: „Da gibt es eine ganze Menge. Allerdings ist es nicht so,dass ich diese Dinge vermisse. Was man nicht kennt, vermisst man nicht. Nehmen Sie Skifahren. Ich würdewahnsinnig gerne in Kitzbühel Skifahren, aber die Frage hat sich für mich seit dem 10. Lebensjahr niegestellt. Das sind aber Dinge, die kein Verlustgefühl in mir aufkommen lassen. Die ersetze ich dann durchanderes.“

Mutter: „Nicht nur über Mozart.Ich glaube, Frauenfragen und aktuelle Probleme der katholischen Kirche würden mich mehr beschäftigen.Mozart kam mir in den Sinn, da der Papst Mozart liebt. Aber ich habe nie um eine Audienz gebeten.“

Mutter: „Es gibt vieleMöglichkeiten, glücklich zu werden. Und ich hoffe, dass meine Kinder ihre Berufung finden werden. Waswir wissen ist, dass diese Berufung nicht in der Musik liegt und das ist ein Anfang. Auch im Ausschluss vonWegen findet man seine Berufung. Bei mir war es umgekehrt. Ich wusste von klein auf, was ich will. Daszeigt auch eine gewisse Begrenztheit meiner Begabungen. Meine Kinder schöpfen aus einem sehr großenFeld von Begabungen. Wer die Wahl hat, hat die Qual.“

Mutter: „Sehr gern.“

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