„Enron“ mit Semmelrogge in Hamburg gefeiert

Hamburg (dpa) - Rot flimmern die neuen Aktienkurse über ein großes LED-Band auf der Bühne. Es sind die späten 1990er Jahre in Amerika. Die Wirtschaft boomt. In den Chefetagen der Großkonzerne herrscht Champagnerlaune und Übermut.

Übermut, der schnell in Größenwahn kippt.

So auch beim texanischen Energieriesen „Enron“. Das gleichnamige Theaterstück erzählt von Aufstieg und Fall des US-Konzerns und wie es 2001 zu einem der größten Wirtschaftsskandale kommen konnte. Bei der Premiere am Sonntag in den Hamburger Kammerspielen wurde die Inszenierung von Regisseur Ralph Bridle begeistert gefeiert. Besonderen Applaus gab es für Nicki von Tempelhoff in der Rolle des skrupellosen Konzernchefs Jeffrey Skilling und für Martin Semmelrogge alias Finanzmanager Andy Fastow.

„Ich bin der King der getürkten Zahlen“, sagt Fastow mit stolzem Selbstbewusstsein. Semmelrogge, der in zahlreichen Fernsehkrimis oder Kinofilmen wie „Bang Boom Bang“ gerne den Kleinkriminellen spielt und auch selbst schon - etwa wegen Verkehrsdelikten - im Gefängnis saß, zockt nun in neuen Dimensionen. „Wir gründen Schattenunternehmen auf Schattenunternehmen, in denen wir alles Unschöne wie Schulden verstecken“, sagte der 55-Jährige zu seiner Rolle. Gezeigt würden die dunklen Machenschaften der Top-Manager: „Es geht um das Archaische des Menschen, der getrieben ist von Gier und Größenwahn.“

Das Firmengeflecht von „Enron“ ist undurchschaubar. Jahrelang fallen die dreisten Tricks von Fastow und seinem Chef Skilling (überzeugend:von Tempelhoff) niemanden auf. Enron ist der Liebling von Börse und Politik. Doch plötzlich schmilzt der Aktienkurs auf dem LED-Band rapide dahin, 2001 bricht das Konstrukt zusammen. „Enron“ von den Medien lange Zeit als höchst innovatives Unternehmen gehandelt, hatte einen Schuldenberg von mehr als 30 Milliarden Dollar angehäuft. 22 000 Mitarbeiter verlieren ihren Job, zahlreiche Anleger ihr Geld. „Ich war extrem gierig und hab' meinen moralischen Kompass verloren“, gesteht Fastrow kleinlaut vor dem Untersuchungsausschuss.

Trotz des sperrigen und hochkomplexen Themas gelingt Bridle eine sehenswerte Inszenierung über ein nach wie vor aktuelles Thema - auch wenn der Abend einige Längen hat. Geschrieben wurde das vielbeachtete Stück, das in London und am Broadway gefeiert wurde, bevor es 2010 nach Deutschland kam, von der junge Autorin Lucy Prebble. Für diese sind die Konzernchefs eine Art „Business-Macbeth“. „Wir haben die Könige und Alleinherrscher nicht mehr, die klassische Tragödien bevölkern, aber Konzernchefs kommen ihnen wahrscheinlich am nächsten“, erklärte Prebble. „Sie treffen Entscheidungen, die Millionen von Leben beeinflussen und fallen oft, wie bei Enron durch Gier oder Schlimmeres.“

Der Zuschauer geht nach knapp drei Stunden vielleicht mit ein paar neuen Erkenntnissen über einen Mega-Wirtschafts-Skandal nach Hause. Aber nicht mit der Hoffnung, dass ein Umdenken in der Finanzwelt eingesetzt hat. Denn wie sagt von Tempelhoff: „Man muss nur zehn Jahre in die Vergangenheit zurückgehen, um zu erkennen, wir machen noch immer denselben Scheiß.“

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