Düsseldorfer Ballett: Maschine trifft auf Liebeslust

Erfolg in Serie: Mit drei expressiven Werken versetzt das Düsseldorfer Ballett das Publikum erneut in Begeisterung.

Düsseldorfer Ballett: Maschine trifft auf Liebeslust
Foto: Gert Weigelt

Düsseldorf. Theater ist noch immer dann am besten, wenn sich der Zuschauer alle fünf Minuten fragt: Verdammt noch mal, woher wissen die das? Wenn er das Gefühl hat, dass eine Leitung von der Bühne direkt in sein Leben führt. Und es mag verwundern, dass ausgerechnet die alte Ballettkunst dies fertig zu bringen vermag. Mut und einen geschärften Blick für die Moderne sind die notwendigen Zugaben, und am Rhein gibt es davon reichlich. Das Düsseldorfer Ballett unter Martin Schläpfer ist ein Spezialist für Fragen der Gegenwart. Bei der Premiere am Freitagabend in der Oper Düsseldorf/Duisburg lauten sie: Wie grenze ich mich in einer technisierten Welt ab? Was bedeutet persönliche Freiheit? Wo will ich mit anderen sein?

Eröffnet wird der dreiteilige Abend mit der Uraufführung „Hidden Features“ von Antoine Jully. Der ehemalige Tänzer aus dem Schläpfer-Ensemble und zukünftige Choreograf am Theater Oldenburg spürt den Eigenschaften eines Computersystems nach. 37 Tänzer bilden das geschäftige Innenleben des Rechners ab; zwischen zwei elektronischen Bauteilen entwickelt sich gar eine Liebesgeschichte. Jully hat sein fantasievolles Werk mit viel Tempo choreografiert: Zu zweit, zu dritt, dann wieder im Schwarm sausen die Tänzer über die Bühne, unter den Augen einer übergroßen Termitenkönigin, die darüber wacht, dass ihrer Brigade niemand dazwischenfunkt. Als sich doch ein Virus einschleicht, hat man fast Sympathie mit dem Eindringling, der den straff organisierten Abläufen entgegentritt.

Jully macht die strenge Ordnung von Computer-Prozessen, aber auch deren Anfälligkeit sichtbar, Merce Cunningham, der große amerikanische Avantgardist (1919-2009), nutzt sie, um zu neuer Freiheit für den Tanz zu gelangen. Sein Werk „Scenario“, das 1997 in New York uraufgeführt wurde, ist das zweite Stück des Abends. Er schuf es auf der Grundlage einer speziellen Software, mit deren Hilfe er das Bewegungspotenzial ausdehnte. Die Umsetzung ist für Tänzer allemal eine extreme Aufgabe, wurde jedoch von der Düsseldorfer Compagnie glänzend vollbracht. Ohne Fixpunkt, den ganzen Bühnenraum auskostend, loten die Tänzer die kinetischen Möglichkeiten aus. Dazu kommt der elektronische Sound des Fluxuskünstlers Takehisa Kosugi. In Frequenzen senkt er sich hinab, schwillt an, züngelt unruhig in der Luft. Der Zuschauer befindet sich in einer Freizone der Assoziationen und Irritationen. Cunningham ist nicht zu genießen, Cunningham verstört. Die Kostümwahl — nach dem Original der Designerin Rei Kawakubo, Gründerin des Labels „Comme des garcons“, gefertigt — verstärkt das Reiz-Klima. Aus den Röcken, Kleidern und Hosen wachsen Wölbungen, die den schönen Tänzerkörper verformen. Man reibt sich die Augen: Wo sind die vertrauten Bezugspunkte?

Jully und Cunningham schließen das Individuum aus und ersetzen menschliche Beziehungen durch Prozesse. Warm wird einem dabei nicht. Das ist im Theater nicht anders als in der Wirklichkeit. Und dann kommt Hans van Manen und humanisiert die unterkühlte Umgebung. Der niederländische Altmeister des Balletts beschließt den Premierenabend mit seiner Choreografie „Grosse Fuge“, zu Ludwig van Beethovens gleichnamiger Komposition. Vier Frauen und vier Männer ringen lustvoll um Dominanz. Lässig warten die Tänzerinnen zunächst das Balzen der Männer ab, um anschließend ihrerseits um deren Gunst zu buhlen. Während zuvor reinweißes Licht die Szenerie erhellte, strömen beim Auftritt der schönen Frauen champagnerfarbene Töne in den Bühnenraum. Eine hochgradig sinnliche Angelegenheit, wollüstig und aggressiv. Und doch bloß ein Vorspiel, das in einer Vereinigung von wahrer Größe mündet, die über das Geschlechtliche hinausweist. Hans van Manen feiert den emanzipierten Menschen, und erntet dafür tosenden Applaus. Vielfältiger kann ein Ballettabend nicht sein.

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