Düsseldorf feiert eine neue Tanz-Epoche

Martin Schläpfer gab seine vierte Premiere in Düsseldorf. Ein eindringlicher Abend, der das Publikum begeisterte.

Düsseldorf. Viel zu früh ertönen die Bravo-Rufe in der Deutschen Oper am Rhein. Dort feierte Ballettdirektor Martin Schläpfer seine vierte Premiere, und schwor mit der Uraufführung "Neither" nach der zeitgenössischen Oper von Morton Feldmann sein Publikum einmal mehr auf eine neue Ära des Tanzes ein. Eine, die keine Märchen erzählt und die ohne Streicheleinheiten auskommt. Ein selbstvergessenes Zurücklehnen ist mit Schläpfer nicht möglich, und bei dieser Vorstellung erst recht nicht.

Dabei hat es der 50-jährige Choreograph geschickt eingefädelt, denn er beginnt den Abend mit "Baker’s Dozen" von Twyla Tharp und zaubert Ironie auf die Bühne: Weiß gekleidete Tänzer erfüllen in atemberaubendem Tempo den Traum einer heiteren Hollywood-Show, während das Klavier schönsten Jazz spielt und der Zuschauer sich irgendwo zwischen Grandhotel-Grandezza und Gaunerkomödie wähnt.

Doch die Heiterkeit verflüchtigt sich mit dem zweiten Stück des Abends, "Pavane auf den Tod einer Infantin". Kurt Jooss, Tänzer, Choreograph und Gründer der Folkwang Schule, hat es 1929 inszeniert, seine Tochter Anna Markard hat es mit der Compagnie der Oper einstudiert.

Nur fünf Minuten dauert das tieftraurige Aufbegehren der jungen Prinzessin (eindrucksvoll: Carolina Francisco Sorg) gegen die Schraubstock-Etikette des Spanischen Hofes, dann fällt sie, zu Tode erschöpft vom Kampf um Freiheit, zu Boden.

Es ist die gelungene Hinführung zu Schläpfers "Neither", denn noch nach der Pause hat der Zuschauer die Verzweiflung der Infantin im Kopf und verfügt nun über jenes Quantum an Unbehagen, das seine Aufmerksamkeit für die folgenden 60 Minuten sicherstellt.

Es liegt am System Schläpfer. Der Choreograph ist in seinem kreativen Ergebnis immer existenziell und daher fordernd. Wieder stellt er die Grundsatzfragen des Menschenseins ins Zentrum des Geschehens: Glück, Hoffnung, Angst und Traurigkeit, Gemeinschaft, Einsamkeit.

Diesmal aber lässt die Konsequenz, mit welcher er alle 48 Tänzer seiner Compagnie auf der Bühne zu Höchstleistungen zwingt, einen schaudern. Das mag damit zu tun haben, dass die Not und die Schönheit, die sich so unheimlich und wunderbar zugleich in dem Körperdickicht der Tänzer ausdrücken, dem Zuschauer vertraut sind, weil sie auch dessen Befindlichkeit berühren. Die mystische Klangwelt von Morton Feldmann wird erst durch die Choreographie verständlich.

Als der Vorhang fällt, wünscht man sich einen Moment Ruhe, um zu begreifen, was Schläpfer da mit einem angestellt hat. Erst dann wird tief Luft geholt und Bravo gerufen.

Aufführungen: 6., 8., 13., 15., 24., 27., 30. Mai; Dauer: zwei Stunden, eine Pause; Beginn: 19.30, sonntags: 18.30 Uhr. Karten: 16,80 bis 75,10 Euro, Telefon 892-5211

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