Dramatikerpreis für Ewald Palmetshofer

Mülheim/Ruhr (dpa) - Beim Mülheimer Dramatikerpreis 2015 hat sich die Jury gegen einen großen Namen und für die Sprachmacht eines noch recht jungen Autors entschieden.

Dramatikerpreis für Ewald Palmetshofer
Foto: dpa

Für seine Collage „die unverheiratete“ erhält der 1978 geborene Österreicher Ewald Palmetshofer den renommierten Theaterpreis. Das Stück über eine in den Zweiten Weltkrieg zurückreichende Schuld überzeugte die Jury mehr als Elfriede Jelineks Flüchtlingsstück „Die Schutzbefohlenen“. Nach einer öffentlichen Debatte in der Mülheimer Stadthalle entschieden sich drei der fünf Juroren am Donnerstag kurz vor Mitternacht für Palmetshofers Stück.

„Sprachlich und inhaltlich ist für mich „die unverheiratete“ das raffinierteste Stück im Wettbewerb. Sprache und Inhalt sind perfekt aufeinander abgestimmt, kongruent“, begründete Schauspielerin Bettina Stucky, zur Zeit am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg engagiert, ihr Votum für Palmetshofer. Robert Koall, Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden, bezeichnete das Stück als „unique“ (einzigartig).

Palmetshofer rückt drei Frauen in den Mittelpunkt: „die Junge“, „die Mittlere“ und „die Alte“. Die Greisin steht am Rande des Grabes. Sie wird von der Erinnerung an ein Verbrechen gequält, das sie kurz vor Ende des 2. Weltkrieges beging: sie denunzierte einen jungen Soldaten. Ihr Vorwurf, er wolle desertieren, kostete ihn das Leben — er wurde erschossen. Kurz nach Ende des Kriegs musste sich die Denunziantin verantworten und wurde mit Gefängnishaft bestraft.

Die Folgen für die Tochter und die Enkelin kommen zur Sprache — es ist zweifelhaft, ob sie etwas aus der Geschichte der Großmutter gelernt haben. Sie sind zu sehr mit ihren eigenen privaten Problemen beschäftigt. Palmetshofer entwickele aus einer kleinen Familiengeschichte ein Weltdrama, lobte die Jury.

Palmetshofer lebt und arbeitet in der österreichischen Hauptstadt Wien und hat bereits mehr als zehn Stücke veröffentlicht. Sein bekanntestes Werk ist „faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“ (uraufgeführt 2009). 2008 wurde er mit dem Dramatikerpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft ausgezeichnet.

Die Wahl Palmetshofers hat viele im Publikum überrascht. Viele hatten mit einem erneuten Erfolg von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek gerechnet. Sie hat in Mülheim bereis viermal gewonnen. Ihre „Schutzbefohlenen“, ein leidenschaftliches Plädoyer für schutzsuchende Flüchtlinge, wird derzeit an zahlreichen renommierten Bühnen gespielt. Zwar wurde die komplexe Collage in der Debatte der Jury ausführlich diskutiert und gewürdigt, doch ihre Befürworter konnten sich nicht durchsetzen.

2015 gilt als ungewöhnlich guter Theaterjahrgang. Palmetshofer hatte neben Jelinek noch weitere starke Wettbewerber. Felicia Zeller stellte in „Wunsch und Wunder“ kenntnisreich Auswüchse der Reproduktionsmedizin an den Pranger, Rebekka Kricheldorf machte sich in ihrer negativen Utopie „Homo Empathicus“ über den Hang zur Konfliktvermeidung lustig.

In „Die lächerliche Finsternis“ analysierte Wolfram Lotz, Joseph Conrads „Das Herz der Finsternis“ fortschreibend, die Fortdauer des Kolonialismus bis heute. Dirk Laucke lehnte sich an Bertolt Brecht und Franz Xaver Kroetz an und stellte die Fortdauer faschistischen Denkens und Fühlens in „Furcht und Ekel. Das Privatleben glücklicher Leute“ auf die Bühne. Yael Ronen & Ensemble begeisterten mit ihrem Antikriegsstück „Common Ground“ die Zuschauer. Das Theaterkollektiv bekam den Publikumspreis.

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