Der Ex-Mann als Plaudertasche

Jin Xing eröffnet die Saison im Tanzhaus NRW.

Düsseldorf. Der weite Blick überrascht. Wer zur Saisoneröffnung den großen Saal des Tanzhauses betritt, sieht keine zugestellte Bühne, nur Tanzteppich mit Sofas, Sessel und Bar. Tanzhaus goes Lounge. Doch die Räumaktion ist Voraussetzung für "Lovely Liquid Lounge: Das China Projekt". Ersonnen haben den Tanzabend der österreichische Choreograf Chris Haring und seine Truppe Liquid Loft, die Chinesin Jin Xing und ihr Dance Theatre.

Sechs Frauen schreiten zu einem wummerndem Rhythmus streng geordnet im Catwalk über die Tanzfläche. Die Choreographin Jin Xing, mit Weinglas den Abend moderierend, verweist auf die Peking-Oper, in der alle Frauen von Männern gespielt wurden und führt einige zeichenhafte Gesten vor. Ein männlicher Tänzer reiht die Frauenriege in Abendkleidern wie Puppen auf, deren Körper sich unter schmerzhaftem Grinsen zu einer Mischung aus Barjazz und Geräusch allmählich verkrümmen.

Der Abend kreist um die Vordergründigkeit kultureller Stereotypen und fixierter Geschlechterrollen. Grinsende Münder, hohe Stimmen, die kataloghafte Präsentation karikieren die westliche Sicht auf asiatische Frauen. Der Verweis auf die Peking-Oper gibt dieser Kritik einen anderen Hintergrund.

Und wenn dann die Catwalk-Gänge plötzlich zwischen Mode, Militär und Prostitution changieren, wenn die Körperverwindungen der Frauen von dem männlichen Tänzer verzerrt wieder aufgenommen werden, dann spielt der Abend scheinbar geschlechtlich fixiertes Bewegungsmaterial wie ein musikalisches Thema durch.

Stärkster Beweis dafür ist Jin Xing, der Ex-Mann, selbst. Sie war bester Tänzer Chinas und unterzog sich einer Geschlechtsumwandlung. Jin Xing ist der unbestrittene Star des Abends und eine begnadete Plaudertasche. Sie befragt auf Englisch die Zuschauer nach ihrer sexuellen Präferenz, schwadroniert über Köln und Düsseldorf, über die Frauen von Shanghai und Peking, über das Heiraten und die Schönheit.

Doch in ihrer Dominanz liegt auch eine Schwäche von "Lovely Liquid Lounge", lässt sie den Tanz doch allzu oft nur zur Demonstration des Gesagten, zum aufgerufenen Beleg verkümmern. Die Tänzerinnen gewinnen so kaum individuelle Prägnanz. Selbst ihre abgefragten Statements zu Männern werden unweigerlich von Jin Xing kommentiert. Ihr Blick bleibt der subjektive Filter, durch den der Abend hindurch muss. Wenn Jin Xing am Ende eine Tänzerin bis zum Hals in eine Krinoline aus Klebeband sperrt, aus der die sich nur mühsam befreit, liegt darin auch eine ironische Selbstkritik.

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