Das Gesetz des Nichts

Klassik: Uraufführung von Salvatore Sciarrinos Oper „La porta della legge“ in Wuppertal

Wuppertal. Vielleicht sei, gibt Salvatore Sciarrino zwei Stunden vor der Uraufführung seiner Oper "La porta della legge" zu, dieses Stück für die Eröffnung eines neuen Theaters nicht so recht fröhlich. Andererseits fühle er sich in Wuppertal menschlich und vor allem künstlerisch wohl, er ist Stadt und Oper seit nun acht Jahren verbunden.

Konsequent also, dass er den Auftrag bekam, zur Wiedereröffnung des Opernhauses ein Musiktheaterwerk zu komponieren. "Hier in der Provinz", wie Sciarrino sagt - liebevoll, nicht spöttisch. Denn: "Nur in der Provinz gibt es genug Raum, die Welt so zu packen" - und er greift sich mit beiden Händen an die Gurgel. Grundlage von "La porta" ist der ebenso berühmte wie erfolglos aus allen Richtungen durchinterpretierte Text "Vor dem Gesetz" von Franz Kafka.

Ein Mann vom Lande begehrt Einlass ins Gesetz, ein Türhüter verwehrt ihm diesen ohne plausiblen Grund. Der Mann harrt vor der Tür aus - bis er stirbt. Nichts hat sich verändert, nichts aufgeklärt. Rund um dieses "Nichts", das im Libretto das erste und letzte Wort hat, bauen Sciarrino und Regisseur Johannes Weigand Musik und Inszenierung. Sciarrinos Klänge umschleichen die Stille, kämpfen mit Zischeln, Zirpen, Wummern gegen ihre schweigende Übermacht.

Hinter der Tür, wo der Mann das Gesetz vermutet, ist Nichts zu sehen - ein Weißraum, den morbid schimmerndes Licht unmerklich umfärbt. Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Türhüter nur eine Tür, keinen Eingang bewacht. Er ist ein Bürokrat, der aus Sinnlosigkeit seine Macht bezieht und für ihren Erhalt ungerührt Menschen zugrunde gehen lässt.

Sciarrino persönlich liest das als Parabel auf das heutige Italien, ein politisch, künstlerisch und gesellschaftlich erstarrtes Land. Aber natürlich nagt die Oper auch an den Grundfesten des Menschseins selbst. Es ist ein Wunder, mit wie beschränkten Mitteln die Oper die großen, beklemmenden Fragen stellt.

Über den artifiziellen Musikhauch, den das Sinfonieorchester Wuppertal unter Hilary Griffiths präzise und schillernd aus dem Graben atmen und keuchen lässt, legt Weigand eine korrespondierende Gesten-Partitur für die drei Protagonisten: Arrogant und raumfüllend (auch stimmlich) gibt Bassist Michael Tews den Türhüter. Bariton Ekkehard Abele ist ein verhuschter, eingeschüchterter Provinzler.

Nach seinem Tod geht die Geschichte von vorn los, ein zweiter Mann ist zur Stelle. Inzwischen hat sich die Bühne gespiegelt, mit dem perfiden Effekt, dass nun das Publikum quasi aus dem Inneren des Gesetzes stumm zuschauen muss, wie Countertenor Gerson Sales mit zunehmend hysterischem Ton versucht, durch die immer kleiner werdende Pforte zu uns zu gelangen. Am Ende geht das Warten in eine dritte Runde, per Video fahren multiplizierte Männer im Paternoster auf und ab, bis die Oper abrupt abbricht. Jedem Menschen seine Pforte, seinen Türhüter und sein Scheitern.

Die Oper zeigt uns einen 70-Minuten-Ausschnitt aus dieser statisch kreisenden Unendlichkeit. Das ist tatsächlich keine sehr frohe Aussage. Aber eine zutiefst wahre. Das Premierenpublikum feiert "seinen" stillen, weisen Komponisten - und eine Stadt, die so mutig war, bei ihm einen Meilenstein des Musiktheaters in Auftrag zu geben.

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