Daniel Kehlmanns Bannfluch

Wieviel Regietheater ist der dramatischen Kunst zuträglich?

Salzburg. Wer das Theater besucht und sich auf einen Klassiker freut, hernach aber nichts mehr so vorfindet, wie er es vielleicht noch kurz zuvor gelesen hat, der konnte immer schon wissen: Hier hatte Peter Zadek seine Trümmer-Hand angelegt. Manches hat das Regietheater, indem es die überkommene Struktur der Werke nicht nur auf-, sondern gern auch mal brachial zerbrach, die Zuschauer gelehrt, neue Sichtweisen, neue Erkenntnisse.

Aber Don Giovanni als Drogenjunkie, Romeo und Julia im Altersheim oder Schillers Räuber als Sprechgesang - kann man das machen? Was Theater alles darf und wie es zu sein hat, ist eine Diskussion, die bei Bertolt Brecht in der Moderne ankam und die bei den Salzburger Festspielen wieder neu entflammt ist. Der Anlass war die Eröffnungs-Ansprache des Schriftstellers Daniel Kehlmann.

Er nutzt alle Klischees, die dem modernen Theater von konservativen Zuschauern vorgehalten werden: Videowände und Spaghettiessen, Geschmiere, Gezucke und Gezappele, hysterischea Gekreische. Der Modernisierungszwang des Theaters habe seinen Vater, den Regisseur Michael Kehlmann, arbeitslos gemacht, weil er sich noch als "Diener" des Autoren gesehen habe.

Kehlmann sieht das Regietheater damit in der Bürgerlichkeit angekommen und kritisiert es als über allem herrschendes Dogma: "Eher ist es möglich, unwidersprochen den reinsten Wahnwitz zu behaupten, als leise und schüchtern auszusprechen, dass die historisch akkurate Inszenierung eines Theaterstücks einfach nur eine ästhetische Entscheidung ist." Statt der Autoren fühlten sich heute die Regisseure als die eigentlichen Stars.

Selbst im krisenerprobten Salzburg, das seit langem den Spagat zwischen traditionellem "Jedermann"-Spektakel und unkonventionellen Premieren schafft, erntete Kehlmann damit Kritik. "Ich weiß gar nicht, wie Theater heute anders sein könnte als Regietheater", sagte Salzburgs Schauspielchef Thomas Oberender. Richtig gemacht, sei dies auch beim Publikum erfolgreich: "Regietheater, von dem in der Festspielrede behauptet wurde, es würde die Theater leeren, stößt im Ausland auch auf Interesse."

Auch jenseits der Salzach schlug die Rede des jungen Autors Wellen. Die Leiterin der Bayreuther Wagner-Festspiele, Katharina Wagner, wies die Kritik im Deutschlandradio Kultur zurück und nannte den Begriff Regietheater problematisch. "Das ist eine Definition, die heute für alles auf der Bühne gilt, was nicht den konservativen Geschmack befriedigt." Dieser Begriff sei undifferenziert und nichtssagend. Matthias Lilienthal vom Berliner Hebbel-Theater findet die Rede Kehlmanns nur "peinlich".

Gelassen reagiert Festspielintendant Jürgen Flimm: "Ich fand das eine rührende Rede, die er da über seinen Vater geschrieben hat." Jeder habe das Recht, Kehlmanns Meinung zu teilen. Für Werktreue könne er selber sich nicht erwärmen: "Wenn wir eine Aufführung von Schillers ,Räuber’ mit den schillerschen Regieanweisungen machen würden, hieße es, was ist denn das für ein Regietheater-Quatsch."

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