Buntes Sittengemälde: Castorfs „Marquise von O...“

Berlin (dpa) - Für Bayreuth hat Frank Castorf eine Torte versprochen, in Berlin lieferte er zunächst einmal einen Rührkuchen.

In seiner neuen Inszenierung des Kleist-Klassikers „Die Marquise von O...“ an der Berliner Volksbühne macht der einstige Regie-Anarcho aus der düsteren Novelle eine verquer-muntere Familienklamotte über die Bigotterie der bürgerlichen Gesellschaft. Natürlich dürfen auch zerplatzte Eier, onanierende Männer und allerhand Viehzeug bei Castorf nicht fehlen.

Das Publikum klatschte bei der Premiere am Samstag lange, aber nicht eben begeistert. Nur vereinzelt Buhrufe. Ob der 60-jährige Theatermacher mit der Drei-Stunden-Inszenierung den etwas verblichenen Glanz seiner einst legendären Volksbühne wieder aufpoliert hat, ist fraglich. Dabei steht er unter Erwartungsdruck: Sein Vertrag als Intendant war nach 20 Jahren kürzlich um drei weitere Jahre verlängert worden - bis zum Rentenalter.

Für die „Marquise“ nutzt Castorf Kleists Novelle von 1808 nur als eine Art Rahmenhandlung, deren Text von den Darstellern oft bloß rezitiert statt gespielt wird. Hauptfigur (mit einer wunderbaren Kathrin Angerer) ist die italienische Kommandantentochter Julietta. Sie wird während der Napoleonischen Kriege - womöglich in einem Ohnmachtsanfall - unwissentlich geschwängert und deshalb von ihrer Familie verstoßen.

Erst als sie nach langen Irrungen und Wirrungen ihren eigentlich edlen Vergewaltiger (Marc Hosemann) heiratet, ist der Familienfriede wiederhergestellt. Wer bei der Geschichte den Faden verliert, dem empfiehlt der brillant von Sylvester Groth gespielte Vater von Julietta bei einem der vielen Sprünge in die Gegenwart: „Es gibt auch einen Film darüber, einen sehr schönen Film von Eric Rohmer“ (1975).

In die ohnehin verschachtelte Handlung webt Castorf allerlei skurril, komisch, manchmal aber auch einfach nur albern inszenierte Assoziationen ein. Da geht es querbeet im Husarenritt durch die Gesellschaftskritik: Hohle Beziehungen, falscher Nationalismus, Missbrauch von Kindern, Diskriminierung von „Negern“, Machtkampf der Geschlechter, Demokratiedefizit, und, und, und ...

Dabei müssen immer wieder ein leibhaftiges Pferd, ein Hund und ein schwarzes Huhn auftreten - allerdings augenzwinkernd. „Tiere auf der Bühne ist ja immer eine bisschen heikel“, sagt Juliettas Vater. Immerhin haben sie Platz: Das gelungene Bühnenbild (Bert Neumann) besteht nur aus einem riesigen roten Vorhang mit dem sinnlichen Gesicht der Marquise. Davor genügen einige Empire-Möbel und eine flexible Stoffwand, um das kunterbunte Panoptikum zu entfalten.

Besondere Lacher erntet Castorf mit seinen gelegentlichen Ausflügen in die Selbstironie. So spöttelt er einmal selbst über seine Werktreue, ein andermal lässt er sich von seinen Schauspielern „altes Arschloch“ schimpfen: Angeblich hat er zweien von ihnen die Hauptrolle in seinem nächsten Dostojewski-Stück versprochen. Und dann folgt ja im kommenden Jahr mit der Jubiläumsinszenierung des „Ring“ am Grünen Hügel die ganz große Herausforderung. Aber wie sagte er doch? „... in Bayreuth zum Jubeljahr, da haben die eine Torte von Castorf verdient.“

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