Botticelli und die Schönen

Knapp 500 Jahre nach seinem Tode erhält der Italiener seine erste deutsche Retrospektive. Sie ist eine Sensation.

Frankfurt. 160 Jahre besitzt das Städel Museum die "Simonetta" von Sandro Botticelli (1444-1510), aber erst jetzt, knapp 500 Jahre nach dem Tode des Renaissance-Malers, wird sie von der ersten großen Retrospektive in Deutschland eingefasst.

Frankfurts Museumschef Max Hollein holte zu diesem Jahrhundert-Ereignis die wichtigsten Leihgaben aus der ganzen Welt ins Haus. Die Schau der Superlative zeigt 80 Bilder und Skulpturen, die Hälfte von Botticelli und seiner Werkstatt, die andere Hälfte von seinen Zeitgenossen.

Der Auftakt, den Kurator Andreas Schumacher in Szene setzt, ist atemberaubend. Da hängen die Schönheitsideale der Zeit dicht nebeneinander. Sie, Simonetta, mit makellos blassem Teint, das dunkelblond gebleichte Haar locker und bewegt gefasst, ist eine coole, distanzierte Frau. Der Maler präsentiert sie klar konturiert und schnörkellos, als Ikone nicht nur der Renaissance, sondern auch unserer eher poppigen Zeit.

Simonetta starb 1476 an Tuberkulose. Ihr Gegenpart, Giuliano de’ Medici, lebte zwei Jahre länger, bevor er von Papst Sixtus IV. ermordet wurde. Das Goldene Zeitalter des Lorenzo de’ Medici brauchte Idealbilder, um von seiner tyrannischen, auf Macht und Geld gegründeten Herrschaft in Florenz abzulenken. Botticelli gilt als gefragtester Porträtist seiner Zeit. Seine Figuren sind nicht nur schön, sondern auch melancholisch.

Der Maler modelliert ihre Gesichter, sorgt für klare Konturen und schiebt die Jünglinge, Madonnen und Ehefrauen auf einer schmalen Vorbühne dem Betrachter direkt unter die Augen. Ob der eher fleischige Typ eines Arztes und Zunft-Kollegen des Malers oder das hager-asketische Gesicht eines Dichters, sie alle fesseln ihr Gegenüber durch einen Blick, der nicht ganz geheuer ist. Liebe ist in der Zeit von Europas größten Bankiers de’ Medici nur ein Vorwand, um die Machtgelüste zu verdecken.

In "Minerva und Kentaur" steht eine dieser schönen Medici-Damen mit den vielen Diamanten im Blickfeld und spielt die Tugendheldin, während sie ihren Gegenspieler mit den tänzelnden Pferdefüßen und dem fast asketischen Blick wie selbstverständlich am Haarzopf fasst und gleich im Kreis um sich herumführen wird.

Während Lorenzo seine rigorose Herrschaft knallhart an den republikanischen Regierungsformen vorbeiführte, soll der Maler den Mythos der Keuschheit demonstrieren. Botticelli erledigt sich der Aufgabe mit der ihm eigenen Genialität: Die Köpfe beider Figuren sind von einer merkwürdigen Wehmut befallen.

Das Städel schiebt aus eigenem Besitz das Kabinettstück einer Venus von Lucas Cranach dem Älteren in diesen Reigen der Reize ein, und es hat den Anschein, als mache sich dieser Hofmaler aus Wittenberg über all diese goldenen Glanzlichter ein klein wenig lustig. Seine Schöne zeigt ihre Blößen durch den durchsichtigen Schleier hindurch. Wenig später wird dies auch Botticelli tun, die "Berliner Venus" aus seiner Werkstatt präsentiert sich als unverblümt erotischer Frauenakt, als nackte Liebesgöttin eben.

Erstaunlich sind Botticellis religiöse Motive. Da fliegt mit ungeheurem Temperament Erzengel Gabriel der Maria in der Verkündigungsszene entgegen. So viel Dynamik ist ungewöhnlich für das 15. Jahrhundert. Faszinierend sind die Madonnen mit Kind aus dem Spätwerk.

Trotz der porzellanhaften Glätte der Gesichter und der monumentalen Schlichtheit der Umhänge legt sich eine Todessehnsucht über Mutter und Kind. Zauberhaft ist der Kuss der bleichen Knaben Jesus und Johannes, als seien sie schon im Tod vereint.

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