„Aus Liebe“: Turrinis mörderischer Familientragödie

Wien (dpa) - Wieso wird ein nach außen hin unauffälliger und scheinbar glücklicher Mann zum Axtmörder seiner eigenen Familie? Der österreichische Dramatiker Peter Turrini (68) geht dieser Frage in seinem neuesten Stück „Aus Liebe“ nach.

Die stakkatoartige Produktion feierte am Donnerstag im Wiener Theater in der Josefstadt seine Uraufführung. Regie führte der Theaterdirektor Herbert Föttinger.

Gleich zu Beginn steht der Hauptdarsteller (Ulrich Reinthaller) vor den Scherben seiner zerbrochenen Ehe. Der Parlamentsmitarbeiter nimmt die verzweifelten Gesprächsversuche seiner Frau (Sandra Cervik) kalt und scheinbar emotionslos auf. Auch im weiteren Verlauf des Tages lässt er niemanden an seiner Gefühlswelt teilhaben. Er redet im Unterschied zu den anderen Charakteren kaum. Doch die Mordlust steigt in dem Mann unaufhaltbar bis es zum Ausbruch kommt.

Der Mann stellt sich nach seiner Tat völlig gefasst selbst der Polizei. Der zuständige Beamte mit Burn-Out-Syndrom interessiert sich aber mehr für seinen Beruf als für seine Tat. „Aus Liebe“ habe er seine Frau getötet, sagt der Mann im Verhör regungslos. Erst ganz zum Schluss, als der Mord an seiner kleinen Tochter (Annika Borde) zur Sprache kommt, verfällt der Mann in einen schreienden Zusammenbruch. Die Fassade bricht schließlich doch wie ein Kartenhaus zusammen.

Turrini zeichnet in seinem Werk eine triste Gesellschaft, die nur auf ihre eigenen Probleme fixiert ist. Blind für ihre Umgebung. Die verzweifelten Rufe der von verschiedensten Ängsten getriebenen Protagonisten verhallen ungehört. Die dabei provozierten Lacher blieben dem Publikum angesichts der Trostlosigkeit und Verzweiflung am Ende im Halse stecken.

Die vereinsamte Witwe merkt etwa im Wiener Kaffeehaus nicht einmal, dass sie ihr Leid einem Mann schildert, der ihre Sprache nicht spricht. Der Baumarktmitarbeiter ist nicht am Kunden interessiert, der gerade eine Axt zur Ermordung seiner Familie kauft, sondern an seiner beruflichen Stellung. Das wichtigste Kriterium für den ausländischen Polizeischüler ist es, teils frivole österreichische Sprichwörter vervollständigen zu können. Die alternde übergewichtige Prostituierte kämpft mit derbem Wiener Charme um ihren Platz auf der Straße.

Turrini will mit seinem Stück keine Lösungen anbieten, sondern zum Nachdenken anregen und das Bewusstsein schärfen. Denn laut dem Dramatiker könnte jeder zu einem Mord fähig sein. „Die meisten Menschen leben mit der Vorstellung, das Böse sei immer in den anderen. Aber natürlich lebt das Mörderische in jedem von uns“, sagte der Kärntner im Vorfeld der Premiere der Nachrichtenagentur dpa.

Das Bühnenbild vom Künstlerduo „Die Schichtarbeiter“ ist äußerst minimalistisch gehalten. Einzig ein Bild mit einer öden Landschaft und einem düsteren Himmel ist zu sehen. Eine Leuchtschrift über der Bühne zeigt die rasant wechselnden Orte und die aktuelle Uhrzeit an.

Alle Darsteller sitzen während der Vorstellung von links nach rechts aufgereiht auf kleinen, schwarzen Hockern auf der Bühne. Was wohl das oftmals teilnahmslose Nebeneinander der Menschen in der realen Welt symbolisieren soll. Der Mörder wird dabei von der auf Erfolg getrimmten Gesellschaft - genau wie vom anwesenden Publikum - nur beobachtet statt aufgehalten.

Der „liebe Gott, ein alter Mann“ bildet einen Kontrapunkt zu den anderen Figuren. Während er zu Beginn noch gut gelaunt und zu „Cheek to Cheek“ tänzelnd die Erschaffung der Welt probt, verzweifelt er zusehends an seiner eigenen Schöpfung. In einem dreckigen, weißen Frack findet er auf der hektischen Erde kaum Zuhörer. Denn statt Weisheit und Liebe weiterzugeben, soll er zwei Jugendliche beim Sex in einer U-Bahnstation filmen. Der „liebe Gott“, der von Kurt Sobotka dargestellt wird, verschwindet wie der Glaube der Menschen immer wieder von der Bildfläche.

Das Publikum quittierte die eineinhalb Stunden lange Aufführung mit Applaus und einigen Bravo-Rufen. Ein Buh-Ruf kam nur einem Besucher über die Lippen.

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