Ariane Mnouchkine: Krieg und Flucht am Theater

Ariane Mnouchkine verlangt von den Schauspielern ihres „Théatre du Soleil“, dass sie die Wahrheit ergründen. Morgen wird sie 70.

Paris. Für Ariane Mnouchkine ist Theater eine Alarmglocke. Und weil unsere Welt voller Gewalt, Unehrlichkeit und Hoffnungslosigkeit ist, schlägt sie regelmäßig und unüberhörbar Alarm. In "Die letzte Karawanserei", uraufgeführt bei der RuhrTriennale, zeigt die französische Regisseurin und Theaterleiterin die menschliche Tragödie von Hunderttausenden von Flüchtlingen in aller Welt. Gesellschaftskritisch war auch eines ihrer jüngsten Stücke "Les Ephémères" (etwa: Eintagsfliegen), in dem sie Ereignisse aus der französischen Lebens- und Alltagswelt zeigte. Mnouchkine, die morgen 70 Jahre alt wird, gehört zu den letzten Vertreterinnen eines politischen Theaters.

Die Regisseurin glaubt an den Einfluss des Theaters auf die soziale Wirklichkeit. "Das Theater kann zwar nicht große Menschenmassen beeinflussen, aber es kann jeden Abend zumindest ein menschliches Herz öffnen. Das ist schon sehr viel", sagt die Tochter des russisch-französischen Filmproduzenten Alexandre Mnouchkine. Und deshalb kämpft sie auch heute noch mit derselben Energie wie vor 50 Jahren mit ihrem Pariser "Théâtre du Soleil" für eine bessere Welt. Ein Theater, das nur wenig Subventionen erhält, dessen Ruf aber weit über die französische Grenze hinausreicht.

Den internationalen Durchbruch als Regisseurin schaffte sie mit dem 1970 uraufgeführten Revolutionsstück "1789", mit dem sie 1971 erstmals auch in Deutschland gastierte. Nur ein Jahr später folgte mit "1793" eine weitere Revolutionsproduktion, der sich 1975 das Politstück "L’age d’or" (etwa: Goldenes Zeitalter) anschloss, in dem der Weg eines algerischen Immigranten von seiner Ankunft in Marseille bis zu seinem Tod an einer Hauswand gezeigt wird.

Moralisches Handeln in der Politik wurde auch in "Mephisto" des gleichnamigen Klaus-Mann-Romans zum Mittelpunkt, mit dem sie ihr Debüt als Theaterautorin feierte. Drei Jahre später setzte sie das neunstündige Politdrama "Die schreckliche, aber unvollendete Geschichte von Norodom Sihanouk, König von Kambodscha" in Szene, das unter anderem um die Eroberung von Phnom Penh durch die Vietnamesen kreist.

Das "Théâtre du Soleil" erzählt vom Krieg in seinen unterschiedlichsten Formen. Dennoch: "Es ist nicht die Aufgabe des Theaters, sich an den letzten Schlagzeilen aufzuhängen. Die Aufgabe des Theaters ist es, die Gegenwart zu verstehen. Die Gegenwart ist aber nicht die letzte Aktualität", erklärt die Regisseurin. Die Methoden und Techniken des "Théâtre du Soleil" basieren auf dem Körpertheater, bei dem Pantomime, Improvisation und Akrobatik im Mittelpunkt stehen. Entscheidend für die Spielpraxis Mnouchkines wurde auch die Einbeziehung des Zuschauers in das Spiel, damit er die Impulse zur Veränderung der Wirklichkeit mitvollziehen kann.

Das Theaterkollektiv spielt in der "Cartoucherie von Vincennes", einer ehemaligen Munitionsfabrik im Pariser Stadtwald. Dort gibt es weder Unter- noch Drehbühne, sondern nur Schauspieler, von denen Mnouchkine verlangt, dass sie in ihrem Spiel nach der Wahrheit suchen, an das Unglaubliche glauben und es zum Leben erwecken.

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