Antike Tragödie in Düsseldorf: Orest – allein mit der Schuld

Düsseldorf zeigt im Großen Haus alle drei Teile der „Orestie“ des antiken Dichters Aischylos. Lars-Ole Walburg hat das Werk bilderreich inszeniert.

Düsseldorf. Der Sieger hat sich ein Stück Stadtmauer mitgebracht. In einer Schubkarre schafft er den Brocken nach Hause. Sein letzter Wille ist ein Grab in heimischem Boden. Den setzt dieser Bote, der die ruhmreiche Rückkehr der Krieger aus Troja ankündigt, schnell in die Tat um: Ein Strick um die schwergewichtige Trophäe, das andere Ende um den Hals geschlungen, stürzt er sich in die Tiefe. Der Herold zeigt: Der Held auf dem Schlachtfeld findet in der Heimat den Tod. Aus dem Off verfolgt eine Stimme die Spur des Tötens: Ein Fluch, der seit Generationen das Geschlecht Agamemnons heimsucht. "Die Orestie" von Aischylos beginnt mit dem Ende des Kampfes um Troja. Der Herrscher kehrt heim, doch hier erwarten ihn Intrige und Mord. Lars-Ole Walburg hat im Düsseldorfer Schauspielhaus alle drei Teile dieser antiken Tragödie bilderreich inszeniert.

An Resopaltischen bittet Athene zu Gericht

Er hat seine Darsteller mit Mikrofonen ausgestattet, so dass sie auch auf der zeitweise zu allen Seiten offenen Bühne (Robert Schweer) im Großen Haus gut zu verstehen sind. Mit dramatischer Musik kinoreif unterlegt, flattert ein riesiges rotes Banner durch den Raum. Agamemnon (Götz Schulte) trägt seine trojanische Geliebte Kassandra (Nadine Geyersbach) wie ein erlegtes Reh über der Schulter. In einer dem US-Präsidenten-Wahlkampf in nichts nachstehenden Rede beschwört Klytaimnestra (Christiane Rossbach) in den Saal blickend ihre Liebe zum Gatten, um ihn mit dem gleichen Kamera-Lächeln in den Tod zu schicken. Walburg fokussiert so überzeugend die Gefühle der Einzelnen: den traumatisierten Kriegsheimkehrer, die rachelüsterne Mutter, die von Visionen geschlagene Seherin. Die übrigen Darsteller, wie etwa ein Chor der Alten, stehen derweil recht teilnahmslos herum. Dann wechselt der Regisseur unvermittelt die Perspektive und rückt die politische Dimension in den Mittelpunkt: Auf drei Wände projizierte Kameras im DDR-Design haben Agamemnons Kinder Elektra (Tanja Schleiff) und Orest (Markus Scheumann) im Blick. Das Rauchverbot und die Überwachung im Internet, ein Ministerium für Heimatschutz und Terrorabwehr - diese Themen werden nun auf der Bühne verhandelt und katapultieren den Zuschauer aus der zeitlosen, zuweilen etwas statischen Betrachtung der mehr als 2000 Jahre alten Tragödie abrupt ins Jetzt. An Resopaltischen unter Neonlicht bittet Athene (Silvia Fenz) zu Gericht. Sie bändigt die blutverschmierten und nach Orest gierenden Erinnyen. Die fordern ihr göttliches Recht, den Tod des Muttermörders. Athene lässt die Bürger abstimmen, ein Geschworenentribunal spricht den Angeklagten frei. Eine neue Ära beginnt. Wie eine Fernseh-Moderatorin mit therapeutischer Mission kommentiert die weißgewandete Athene diesen Wandel zur Demokratie. Die verfeindeten Seiten umarmen sich, selbst die Geister der Toten schließen Frieden mit dem Spruch des Volkes. Nur Orest bleibt allein, allein mit seiner Schuld.

3,5 Std., Pause, Auff.: 21., 29., 30. Dezember, 2., 7., 14. Januar, 19 Uhr, Karten: 0211/36 99 11

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