Abschied vom Wuppertaler Schauspielhaus

Wuppertal (dpa) - Die letzte Protestwelle baut sich lautstark auf. Zuschauer und Schauspieler im Wuppertaler Schauspielhaus skandieren: „Wir wollen Schauspiel!“ Dann ist Schluss.

Nach fast 50 Jahren wurde am Sonntagabend die letzte Vorstellung in dem weißen Gebäude mit dem verglasten Foyer und den lichten Innenhöfen gegeben. Der Niedergang kam schleichend. Die große Bühne ist schon seit 2009 geschlossen. Nur noch mit einer Sondergenehmigung durfte auf einer provisorischen Bühne im Foyer vor etwa 130 Zuschauern gespielt werden.

Am Ende des Stücks „Eine Billion Dollar“ verabschiedet Intendant Christian von Treskow jedes Mitglied der Truppe vom Schauspieler bis zum Techniker persönlich. Dann setzt er zu einer verbitterten Rede darüber an, wie die Stadtspitze das Schauspielhaus dem Untergang geweiht habe und auch die Zuschauer das verwahrloste Haus zuletzt gemieden hätten.

Am Ende gibt es dann doch noch ein Fest und Sekt für alle. Einige Zuschauer haben Tränen in den Augen. „Es ist eine Schande“, sagt Yvonne Dehnert, die mit ihrem Mann seit über 30 Jahren eine treue Theaterabonnentin ist. Bürger und prominente Schauspieler wie Armin Rohde hatten noch 2010 mit geballten Fäusten in einer bundesweit beachteten Aktion die Rettung des Theaters an der Wupper gefordert.

Zur Eröffnung 1966 hatte Heinrich Böll seine berühmte Rede „Die Freiheit der Kunst“ im neuen Schauspielhaus gehalten. Seit Jahren rottet das elegante Theatergebäude mit seinen Granitwänden, viel Marmor und schwarzen Ledersesseln vor sich hin. Am Haus wächst das Unkraut fast meterhoch, die Natur hat Besitz auch von der weitläufigen Terrasse ergriffen. Viele Fensterscheiben sind blind. Nur im Eingangsbereich hat die Truppe eigenhändig Fotos aufgehängt und die Fenster regelmäßig geputzt.

Die gesellschaftliche Bedeutung des Theaters hat sich seit Bölls Rede geändert. Wuppertal hat seine Bühnen einer schmerzhaften Schrumpfkur unterzogen und das Schauspielhaus in Elberfeld als Kulturopfer gebracht. Für zwei Spielstätten hat die Stadt mit 350 000 Einwohnern kein Geld mehr - auch eine Nachfrage nach insgesamt rund 1600 Zuschauerplätzen gibt es nicht mehr. Während das Opernhaus für 25 Millionen Euro saniert wurde und weiterhin als Bühne für das weltbekannte Pina Bausch-Tanztheater dient, muss das Schauspielhaus dicht machen. Auch von Treskow sieht bei aller Bitterkeit das Ende relativ pragmatisch: „Eine kleine Großstadt mit zwei riesigen Theatern, das gibt es sonst nirgendwo.“

Tot ist das Schauspiel in Wuppertal allerdings nicht. Von 14 auf sieben bis acht feste Schauspieler wird das Ensemble reduziert - für großes Theater reicht das nicht mehr. In der kommenden Spielzeit vagabundiert die Truppe durch die Stadt, bevor ab Sommer 2014 eine neue Spielstätte fertig sein soll: eine ehemalige Lagerhalle.

Was mit dem leerstehenden Theatergebäude geschieht, ist ungewiss. Die Stadt hat in einem Gutachten mehrere Modelle durchrechnen lassen. So könnte das Von der Heydt-Museum mit seiner renommierten Sammlung in das Gebäude einziehen - dazu wäre ein Anbau notwendig. Das wäre ungefähr so, als wolle man „aus einem U-Boot ein Flugzeug machen“, sagt Kulturdezernent Matthias Nocke der dpa. Ein weiteres Modell sieht ein internationales Tanzzentrum Pina Bausch im Theatergebäude vor.

Nocke wird als offizieller Gesandter der Stadt am Abschiedsabend kräftig ausgebuht. Seine geplante Rede geht im Getöse unter. Die Umbauvarianten würden bis zu 40 Millionen Euro kosten - das kann sich Wuppertal nicht leisten. Inzwischen wird offen über einen Abriss nachgedacht. „Man kann von allen Möglichkeiten des Gutachtens derzeit keine ausschließen“, sagt Nocke der dpa, und er verweist auf Mönchengladbach. Dort wurde das Schauspielhaus bereits abgerissen.

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