Wie man das Leben erlernt

Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen liest aus seinem neuen Buch „Die Unruhezone – Eine Geschichte von mir“ heute bei der lit.Cologne in der Kölner Oper.

<strong>Köln. Nein, ermutigend ist Jonathan Franzens Einlassung über sein neues Buch nicht: Ein Versuch, "sich in jene Regionen von Scham und Peinlichkeit zu wagen, die der Leser lieber meiden möchte und eine Art Dante im Inferno der Demütigung zu sein", sagte er. Nun, ganz so grauenvoll wird es nicht. Im Gegenteil: Die sechs Essays dieses Buches erzählen vom Abschiednehmen von den Eltern und der Ankunft im erwachsenen Leben, dem schmerzhaften Prozess einer Reifung. Ähnlich jener, die er in Kafkas "Der Prozess" an dem Beschuldigten K. diagnostiziert: eine "Gleichzeitigkeit von sträflichem Trieb und bitterem Selbsttadel, ein Mensch im Prozess".

Ein scheuer Versager und zugleich Clown aus Verlegenheit

So erleben wir auch Franzen: von Kindsbeinen ein stiller, verängstigter, scheuer Versager (außer in der Literatur und der Belesenheit), zugleich Clown aus Verlegenheit. Als Achtjähriger lässt er etwa einmal "die Hosen runter" vor zwei Nachbarmädchen, als er nicht mehr weiß, welche Faxen er noch machen soll. Zweifellos, dieser Junge zittert in einer "Unruhezone".

Franzen rechnet nicht ab, er bilanziert Eltern, Staat, Gesellschaft, bigotte Politik und Kirche, die Zeit der Blumenkinder, Schule und Unterricht durch einen religiös sektiererischen Pädagogen. Er preist Charles M. Schulz und seine "Peanuts"-Comics, der für ihn eine Zeitlang Vorbildfunktion hatte. Und erlebt an der Highschool Niederlagen ohne Ende.

Doch auch das Zusammensein mit seiner Frau macht ihn nicht froher: "Jede schöne Stunde vertiefte meine Traurigkeit darüber, wie rasch unser beider Leben verging, wie rasend schnell uns der Tod entgegenkam."

Für einen Mittvierziger darf eine so weise Erkenntnis, und ist sie auch rabenschwarz, als herausragend gelten. Da verwundert es nicht, dass das Buch im oberflächlichen Amerika, das wenig den Pflichten der Natur gegenüber weiß, auf wenig Gegenliebe stieß. Dabei ist es so ehrlich und zugleich so poetisch-wehmütig erzählt, dass man ihm in Deutschland eine große Leser-Gemeinde wünscht.

geboren: 1959, aufgewachsen in einer Vorstadt von St. Louis/Missouri im Mittleren Westen der USA

Ausbildung: Highschool, Universität, Anfang der 80er Jahre deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin und in München.

Laufbahn: 1988 Debüt mit "Die 27. Stadt", 1992 folgt "Schweres Beben", 2001 erhält er den renommierten "National Book Award" für "Die Korrekturen", 2002 Essaysammlung "Anleitung zum Alleinsein", die jetzt neu als Taschenbuch erscheint. Ein halbes Jahr Fellow des Amerikanischen Wissenschaftskollegs Berlin. Franzen lebt zusammen mit der Schriftstellerin Kathryn Chetkovich in New York.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Liebe und Hass in der Vorstadt
Peter Kurth und Peter Schneider ermitteln im „Polizeiruf“ nach einem Kindsmord in Halle/Saale Liebe und Hass in der Vorstadt
Aus dem Ressort