Das Krimijahr 2017 Von stillen Wassern und der Anatomie des Teufels

Hamburg (dpa) - Der Deutsche liebt seinen Krimi - trotz einer mitunter schwer zu ertragenden Wirklichkeit, die belegt: Das Böse hat einen festen Platz in der Gesellschaft.

Das Krimijahr 2017: Von stillen Wassern und der Anatomie des Teufels
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Selbst die amerikanische Autorin Donna Leon, die größte Erfolge mit ihren Kriminalromanen erzielt, ist nach eigenen Worten darüber schockiert, „dass wir es unterhaltsam finden, unseren Mitmenschen dabei zuzusehen, wie sie leiden“ („buchreport“ 1/2017). Möglich, dass es die Auflösung, das meist „gute Ende“ der fiktiven Literatur ist, das für Erleichterung oder Spannungslösung sorgt - und dafür, dass Menschen immer wieder zu Thrillern oder Krimis greifen. Der Trend ist 2017 ungebrochen.

Und so kann der Leser auch in diesem Jahr wieder mit den üblichen Verdächtigen und Ermittlern rechnen. Natürlich nicht nur. Neben bewährten Autoren und Serien gibt es eine Menge Neueinsteiger und Standallone-Lektüre. Der Krimi-Markt ist so voll bestückt, dass eine Auswahl schwerfällt.

Im vorderen Glied marschieren wie gehabt Commissario Brunetti (Donna Leon), der Chef de police Bruno (Martin Walker), Jack Reacher (Lee Child) oder Pierre Durand (Sophie Bonnet). Und: Wer die Suspense Sebastian Fitzeks liebt, darf sich schon sehr bald auf Nachschub freuen, denn nachdem dieser erst im vergangenen Oktober bei Knaur „Das Paket“ auf Reisen schickte, wird er mit „AchtNacht“ schon ab März für schlaflose Nächte sorgen.

Der Thriller handelt von einem Internetkriminellen, der seine Follower zum straflosen Mord aufruft - an einem beliebigen Opfer. Jeder kann einen Namen in einen virtuellen Lostopf werfen. Am achten August, um acht Uhr acht wird der Name gezogen. Der „Gewinner“ ist ein Vogelfreier - für eine lange Nacht, die „AchtNacht“.

Weniger spektakulär, nicht halb so realitätsfern, dafür aber gewohnt sympathisch kommt Guido Brunetti ab Mai daher. Donna Leons Commissario ist müde und ausgepowert. Der richtige Moment für eine Auszeit. Doch natürlich wird sein Rückzug in Venedigs Lagunen-Idylle kein Ruhekissen. „Stille Wasser“ heißt der 26. Fall des Polizisten, der das Ermitteln auch zwischen Blumen und Bienen nicht lassen kann. Wie immer bei Diogenes.

Der Zürcher Verlag schickt zudem seinen beliebten Chef de police Bruno ins Rennen, zum „Grand Prix“ ins Périgord, und zwar im April. Bruno organisiert eine Oldtimer-Rallye, und die wird mörderisch. Gleicher Verlag, gleicher Monat, anderer Ort: Der längst in der Krimiszene etablierte Friedrich Dönhoff lässt seinen jungen Hamburger Kommissar Sebastian Fink gegen „Heimliche Herrscher“ antreten, die die Hansestadt in Angst und Schrecken versetzen. Und noch zwei bewährte Ermittler aus dem Hause Diogenes werden aktiv: Kenzie & Gennaro, das Bostoner Polizisten-Duo von Dennis Lehane haben im Juni ihren Einsatz. Titel: „Dunkelheit, nimm meine Hand“.

Nach Spanien führt Jordi Llobregats Thriller „Die Anatomie des Teufels“. Der Erstlingsroman des Autors, der in seiner Heimat bereits mit Kritikerlob überschüttet wurde, spielt in Barcelona 1888. Grausam zugerichtete Frauenleichen geben dem jungen Gelehrten Daniel Amat Rätsel auf. Blanvalet kommt mit dem historischen Gruselwerk im April heraus. Im Mai entfacht dann Sophie Bonnet für ihren Ermittler Pierre Durand ein „Provenzalisches Feuer“. Es ist bereits sein vierter Fall. Der Münchner Verlag hat zudem mit „Der Hirte“ noch einen Pfeil im Köcher, den er im Juni abschießt. Autor ist der Norweger Ingar Johnsrud, der damit in seiner Heimat einen Nr.-1-Hit landete. Das „lupenreine Thriller-Debüt“ („Verdens Gang“) erlaubt einen Blick in die mysteriöse Welt einer Sekte, auf deren Gelände fünf Männer bestialisch abgeschlachtet wurden. Nicht zuletzt setzt der Verlag wieder auf die Zugkraft ihres knallharten Polizisten Jack Reacher. Zur Jahresmitte ereilt ihn von Autor Lee Child „Der letzte Befehl“.

Wohl vergeblich wird die Fan-Gemeinde von Robert Galbraith (alias J.K. Rowling) in diesem Jahr auf einen neuen Einsatz des Detektivs Comoran Strike warten. Obwohl für 2017 anvisiert, verschiebt sich sein vierter Einsatz auf zunächst unbestimmte Zeit - wegen anderer Projekte der Autorin, die immerhin per Twitter versichert hat: „And he's on his way, I promise.“

Ein Wiederlesen gibt es hingegen mit der schwedischen Autorin Kristina Ohlsson, die ihren bewährten Ermittlern Frederika Bergmann und Alex Recht eine Pause gönnt und stattdessen erstmals Staatsanwalt Martin Benner in „Schwesterherz“ (April) und „Bruderlüge“ (Juni) einsetzt. Die Mini-Serie - in Deutschland vom Limes Verlag herausgegeben - hat in Schweden ebenfalls den ersten Platz der Bestsellerlisten erobert.

Als „Stephen King Brasiliens“ wird Raphael Montes in der Szene gefeiert. „The Guardian“ schätzt seinen zweiten Krimi „Sag kein Wort“ (Juni) als „rasante Mischung aus Hitchcocks Spannung und Tarantinos Komik“ und als schlicht brillant ein. Das Buch des Südamerikaners erscheint außer bei Limes in 16 weiteren Ländern. Gleich mit zwei Kriminalromanen der Dänin Inger Madsen geht der Hamburger Osburg Verlag im Februar ins Rennen. „Gestohlene Identität“ und „Leichen bluten nicht“ heißen die Titel, in denen Roland Benito ermittelt. Seit 2008 hat er bereits neun Fälle gelöst.

Wer Tierkrimis und Autorin Leonie Swann liebt, kann sich auf „Gray“ (Mai) freuen. Nach „Glennkill“ und „Garou“, in denen Schafe die Hauptrolle spielen, kommt nun ein Graupapagei zum Einsatz - vermutlich nicht weniger gewitzt als seine vierbeinigen Vorgänger und für den Goldmann Verlag ein Erfolgsgarant.

Ein umfangreiches Krimi-Angebot bietet Droemer Knaur wieder in diesem Jahr. Neben Fitzek bringt der Verlag im Januar den Psychothriller „Dear Amy“ von Helen Calaghan heraus. In der gleichnamigen Kolumne einer britischen Zeitung bittet ein Mädchen um Hilfe, das vor 15 Jahren spurlos verschwand.

Mit Linwood Barclays „Lügenfalle“ (März) beendet der Verlag die „Trilogie der Lügen“, in der mit der Scheinheiligkeit der Gesellschaft abgerechnet wird. Der Deutsche Markus Heitz schuf mit „Des Teufels Gebetbuch“ (März) einen Mystery-Thriller, in dem „verfluchte“ Spielkarten für Unheil sorgen. Im Juni schließlich erscheint Don Winslows neuer Spannungsroman „Corruption“: Danny Malone, Detektive einer Eliteeinheit in New York, ist hochgeachtet - und korrupt bis in die Knochen. Bis er im aktuellen Fall seinen eigenen Dämonen gegenübersteht.

List ist seit Jahresbeginn mit Stefan Ahnhems Thriller „Minus 18 Grad“ präsent. Sein Kommissar Risk ermittelt nun bereits zum dritten Mal. Dieser Einsatz allerdings lässt das Blut buchstäblich in den Adern gefrieren. Der Schwede gehört zu der skandinavischen Autorengemeinschaft, die hierzulande eine riesige Fangemeinde hat. Übrigens ebenso wie die zahlreichen Regionalkrimis, die inzwischen alle deutschen Gefilde erobert haben. Denis Scheck, aus Funk und Fernsehen bekannter Literaturkritiker, meint zwar: „Der Fluch der deutschen Gegenwartsliteratur heißt Regionalkrimi.“ Ungeachtet dessen setzen viele Verlage - allen voran Gmeiner (Baden-Württemberg), Emons (Köln) oder Schardt (Oldenburg) - auch 2017 wieder massiv auf Lokalkolorit in deutschen Krimis.

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