„Sire, ich eile“ - Voltaire und Friedrich II.

Berlin (dpa) - Die Freundschaft des Preußenkönigs Friedrich II. zu dem französischen Philosophen Voltaire zählt zu den interessantesten und widersprüchlichsten Allianzen im Zeitalter der Aufklärung.

Können Macht und Geist gleichberechtigt kommunizieren? Kann der Philosoph den König mit der Kraft seiner Argumente zu einem menschenfreundlichen Herrscher erziehen? Wie korrumpierend wirkt der Umgang mit den Mächtigen für den Geistesmenschen?

Um diese auch zum 300. Geburtstag von Friedrich II am 24. Januar immer noch aktuellen Fragen kreist Hans Joachim Schädlichs luzide Novelle „Sire, ich eile. Voltaire bei Friedrich II.“. Der 1935 im Vogtland geborene Autor wirft in seiner gewohnt knappen und lakonischen Art ein helles Schlaglicht auf die geistvolle, von Eloquenz befeuerte, aber letztlich immer ungleiche Beziehung zwischen dem freien Schriftsteller Voltaire (1694-1778) und dem seit 1740 herrschenden Friedrich.

Schädlich, dieser Meister der Reduktion, trifft den Kern dieser Beziehung: Der kritische Intellektuelle, der seine eigene Vernunft gebraucht, gerät zwangsläufig in Konflikt mit einem Herrscher, der sich vor keiner Instanz rechtfertigen muss. Die Novelle gibt keinen Nachhilfeunterricht in preußischer Geschichte, sondern entwirft exemplarisch diesen Zwiespalt.

Hans Joachim Schädlich hat selbst bittere Erfahrungen gemacht mit staatlicher Macht und der Ohnmacht der Andersdenkenden. In der DDR durfte er nicht publizieren, er unterschrieb die Petition gegen die Biermann-Ausweisung, 1977 konnte er in die Bundesrepublik ausreisen, in dem Jahr erschien auch sein verspätetes Debüt „Versuchte Nähe“. Zuletzt legte er mit dem Band „Vorbei“ (2007) drei historische Miniaturen und den Exilroman „Kokoschkins Reise“ (2010) vor.

Seine neue Novelle, die sprachlich wunderbar intim wie ein Kammerspiel instrumentiert ist, hat zwei Teile: Zunächst erzählt Schädlich von der lebenslangen Freundschaft zwischen Voltaire und seiner Geliebten Émilie, einer hochgebildeten, verheirateten Adeligen. Die beiden Freigeister ziehen sich in ihr Schloss in Cirey zurück, schreiben und übersetzen, führen naturwissenschaftliche Experimente durch. Als die ersten Huldigungsbriefe des Kronprinzen Friedrich den durchaus geschmeichelten Voltaire erreichen, warnt Émilie vor den Einflüsterungen des Hofes. Der fast zwanzig Jahre ältere Philosoph aber scheint sich in der Rolle des Prinzenerziehers zu gefallen, er umschmeichelt Friedrich als „Salomon des Nordens“, schließlich kommt es 1740 zum ersten Treffen.

Sehr pointiert zeigt Schädlich, dass dieser König ein ausgebuffter PR-Stratege war, der genau wusste, wie er das hohe Ansehen des Philosophen für seine Zwecke nutzen konnte. Dem fiel der Widerstand gegen königliche Avancen schwer, erst nach den Eroberungsfeldzügen Friedrichs gegen Schlesien schrieb Voltaire Klartext: „Werden Sie denn niemals aufhören, Sie und ihre Amtsbrüder, die Könige, diese Erde zu verwüsten, die Sie, sagen Sie, so gerne glücklich machen wollen.“

Nach dem Tod seiner geliebten Émilie kommt Voltaire schließlich an den preußischen Hofe Friedrichs in Potsdam, wird gut dotierter Kammerherr. Er leidet aber bald unter der Eintönigkeit der Etikette und den Ränkespielen des oft übellaunigen Monarchen.

Das Ende ist unwürdig. Fast wie ein Verbrecher flieht Voltaire 1753 aus Berlin, wird in Frankfurt am Main verhaftet und von Friedrichs Handlangern wochenlang gedemütigt. Mit bitterer Akribie zeichnet Schädlich diesen unrühmlichen Epilog nach. Danach haben sich beide Männer nie wiedergesehen.

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