Schätzing: „Reiz, aus Fakten eine Spekulation zu entwickeln“

Berlin (dpa) - „Zwischen zwei Buchdeckeln ist nichts unmöglich“, hat Frank Schätzing einmal gesagt.

Schätzing: „Reiz, aus Fakten eine Spekulation zu entwickeln“
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In „Lautlos“ ließ der Star-Autor deshalb Terroristen ein Attentat auf US-Präsident Bill Clinton planen, in „Der Schwarm“ konfrontierte er Leser mit den Gefahren der Tiefsee, in „Limit“ schickte er Prominente auf den Mond.

Nun zeichnet der Kölner in seinem neuen Thriller „Breaking News“, der am kommenden Donnerstag (6. März) erscheint, den Lebens- und Leidensweg Ariel Scharons (1928-2014) nach - mit einer kleinen Änderung in Form einer Verschwörung. Warum der Nahe Osten das bislang komplexeste Thema für ihn war, erklärt der 56-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Frage: Herr Schätzing, warum haben Sie sich diesmal den Konflikt im Nahen Osten als Thema ihres neuen Thrillers ausgesucht?

Antwort: Die Idee kam durch ein Gespräch über Ariel Scharon zustande. Damals dachte ich: Der alte Ariel war der letzte, dem ich die Lösung des Nahostkonflikts zugetraut hätte. Im selben Moment kam die Verschwörungsidee aus dem Himmel gefallen.

Frage: Warum löst ein Gespräch über einen so streitbaren Charakter wie den israelischen Ex-Ministerpräsidenten die Recherche zu einem 1000-Seiten-Thriller aus?

Antwort: Ich bin kein erklärter Fan von Scharon. Er fasziniert mich. Eine komplexe Persönlichkeit. In seiner Vergangenheit findet sich viel Schatten, aber eben auch Licht. Ich wollte einfach wissen, wie der Typ tickt.

Frage: Scharon kommt bei Ihnen nicht gerade gut weg, eher als knallharter Militär, der schon als Kind Anemonen die Köpfe abschlägt.

Antwort: Es ging darum, sein Handeln verständlich zu machen. Ich hatte gute Quellen, auch über seine Kindheit. Scharon entstammte einer Generation, in der man was riskierte, alles daransetzte, einen Staat aus dem Boden zu stampfen. Diese Alten versuchten, das meiste richtig zu machen, während nachfolgende Generationen eher bemüht sind, das wenigste verkehrt zu machen. Aus Scharons Vita wird sein Handeln verständlich - wenn auch keineswegs immer tolerierbar.

Frage: In „Breaking News“ verschwimmen Realität und Fiktion.

Antwort: Bis zur Hälfte des Buches ist alles real, was Scharon betrifft. Auch wenn die Familie Kahn, mit der er im Buch befreundet ist, nie existiert hat - er hatte vergleichbare Freunde. Ebenso entsprechen die historischen Schilderungen den Tatsachen. Der Reiz war nun, aus den Fakten die Spekulation zu entwickeln.

Frage: Sie erzeugen eine Verschwörung um den Tod Scharons. Was würde passieren, wenn diese Theorie tatsächlich stimmen würde?

Antwort: Die Geschichte müsste trotzdem nicht umgeschrieben werden, sollte das so gewesen sein. Damals erhielt Scharon etliche Morddrohungen. Er war praktisch fortlaufend in Lebensgefahr, so wie in den 90ern Ministerpräsident Izchak Rabin. Der dann ja auch erschossen wurde, weil er sich mit Jassir Arafat auf eine Friedensregelung geeinigt hatte. Weil er versuchte, den Hass zu überwinden. Das reichte den Hardlinern, offen zum Mord an ihm aufzurufen. Diese Typen hatte sich auch Scharon letztlich zu Gegnern gemacht. Schon im Vorfeld der Gaza-Räumung gab es ständig Morddrohungen.

Frage: Sie haben lange in der Westbank recherchiert. Wie ist Ihr Eindruck: Ist der Nahostkonflikt überhaupt zu lösen?

Antwort: Ja, er wird irgendwann gelöst werden. Aber nicht so, wie wir uns das in Europa vorstellen. Wir sind einfach zu konsensverliebt. Es gibt durchaus ermutigende Ansätze in Israel, auch in der Westbank. Gute Nachbarschaft, kleine Kooperativen, weit mehr, als man das hierzulande wahrnimmt. Araber und Juden, die ungeachtet von Religion und Dauerzwist sagen: „Wir sind trotzdem Freunde, lasst die Hardliner doch machen, was sie wollen.“ Die machen aber auch leider, was sie wollen. Ich denke, das größte Problem wird sein, die fanatische Religiosität zu überwinden. Vielleicht müssen wir akzeptieren, dass das noch ein-, zweihundert Jahre Zeit in Anspruch nimmt. Vielleicht auch mehr.

Frage: Zurück zum Buch. Es gibt Autoren, die jedes zweite Jahr einen Roman veröffentlichen. Von Ihnen gibt es Thriller im Fünfjahrestakt - macht zwei Schätzing-Romane pro Jahrzehnt. Warum nicht mehr?

Antwort: Ich bin ja keine Schreibmaschine. Ich sitze nicht jeden Tag am Computer, Vielschreiber wie Stephen King dagegen ununterbrochen. Wenn ein Buch fertig ist, mache ich am liebsten erst mal was vollkommen anderes: Musik, Hörspiele, Filmprojekte - außerdem ist es eine Betrachtungsfrage. Leute wie John le Carré bringen alle zweieinhalb Jahre 500 Seiten raus. Bei mir gibt es alle fünf Jahre 1000 Seiten - macht 500 pro zweieinhalb Jahre. Wahrscheinlich ist am Ende meine Detailversessenheit schuld, dass es so lange dauert. Die Gemengelage im Nahen Osten jedenfalls war das Komplexeste, über das ich je geschrieben habe. Ich kann wohl nicht anders, als mir ständig solche Recherchemonster auszusuchen.

Frage: Früher haben Sie mit „Keine Angst“ Kurzgeschichten geschrieben, heute sind es stets gut 1000 Seiten. Warum diese Länge?

Antwort: Es macht einfach mehr Spaß, so ein Magnum Opus zu schreiben. Und gerade beim Thema Nahost fließt extrem viel Recherche mit rein. Da will man nicht schlampen und an der falschen Stelle Seiten einsparen. Aber wer weiß? Vielleicht schreib ich mal wieder 'ne Kurzgeschichte. Fünf Seiten. Maximal.-

Frage: Vor zehn Jahren veröffentlichten Sie Ihren Welterfolg „Der Schwarm“, immer wieder wurde spekuliert, der Stoff käme ins Kino. Wann ist es endlich so weit?

Antwort: Es gibt da einen neuen Anlauf. Wird schon. Als positiver Mensch bin ich immer guter Dinge.

ZUR PERSON: Frank Schätzing zählt zu den bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Schriftstellern. Sein 2004 erschienener Welterfolg „Der Schwarm“ wurde in 27 Sprachen übersetzt und knapp 4,5 Millionen Mal verkauft. Überregional bekannt wurde der 56 Jahre alte Kölner durch den Politthriller „Lautlos“ (2000). Am 6. März kommt sein neuer Roman „Breaking News“ in den Handel.

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