Martin Walser im Interview : Martin Walser: „Ich bin die Asche einer Glut, die ich nie war“
„Ich bin die Asche einer Glut, die ich nie war“, so lautet der Lieblingssatz des Schriftstellers Martin Walser. Der neue Roman ist fertig und heißt „Statt etwas“.
Aachen. Er freut sich auf Heimbach. Dort liest Martin Walser am Montag bei der Lit.Eifel. Lesungen machen ihm noch immer Spaß, er empfindet sie nicht als Strapaze. Er erhielt viele Auszeichnungen, darunter 1981 den Georg-Büchner-Preis und 1998 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Im Interview spricht der 89-jährige Schriftsteller auch, aber nicht nur über seinen aktuellen Roman.
Herr Walser, Vor acht Jahren haben Sie Ihr Goethe-Werk veröffentlicht, „Ein liebender Mann“, jetzt, in Ihrem neuen Roman ist es ein „Sterbender Mann“. Manche behaupten, das sei ein Spätwerk, ich empfinde es eher als eine gute Ansammlung von Ironie, Satire, Verrat und Sprache der Liebe im Alter. Ist das eine zutreffende Kurz-Zusammenfassung?
Martin Walser: Mit dem Ausdruck Spätwerk habe ich noch nie etwas anfangen können. Ich weiß nicht, was die Leute damit meinen. Ich glaube, dass es nur eine oberflächliche Ausdrucksart ist, weil ich ein gewisses Alter habe. Dass sich die Sachen unterscheiden von Büchern, die 40 Jahre alt sind, ist doch klar. Ironisch, satirisch? Ja, das kann man so sehen.
Ihr Werk beginnt mit einem Brief: „Sehr geehrter Herr Schriftsteller. Mehr als schön ist nichts.“ Der Satz ist nicht neu, Sie zitieren sich selber, um, wie Sie sagen, gegen den Satz anzutreten. Warum ist das nötig?
Walser: Dieses „Warum“ kann ich nicht richtig beantworten. Als ich endlich so weit war, dass ich mit dem Roman anfangen konnte, da fiel mir dieses Zitat einfach in die Hand. Da wusste ich, dass sich meine Figur, Theo Schadt, zu einem wichtigen Satz eines Autors verhalten kann, und dadurch habe ich eine Dialog-Spannung. Ich habe meine Figur charakterisieren können dadurch, dass sie sich zu diesem Satz verhält. Das war ein Start, das war eine Dynamik. Der konnte diesen Satz nicht auf sich sitzen lassen.
Erste Sätze sind enorm wichtig. War das auf Anhieb Ihr erster Satz oder erst später während des Schreibens wie bei vielen Ihrer Romane?
Walser: Diesmal war es tatsächlich so: Das war der Anfang. Das ist eine Art Schreib-Instinkt. Man hat eine Figur, die noch nicht deutlich ist, aber dadurch, dass sie sich zu etwas verhalten muss, das schon da ist, wird die Figur deutlich — als hätte ich einen Spiegel, in den sie schauen kann.
Haben Sie lange über diese Idee nachgedacht?
Walser: Nein, nein, nein: Darüber habe ich nicht nachdenken müssen. Ich habe eine Figur, die heißt Theo Schadt, und die sagt: „Mehr als schön ist nichts. Das ist der unmenschlichste Satz, den ich je zu lesen bekam.“ Und dann sagt Theo Schadt: „Ich bin also nicht schön.“ Dann hat er Grund das auszuführen, über sich etwas zu sagen, sich selber vorzuführen. Genau das ist ganz günstig für einen Roman-Anfang als Exposition. Nur das war der Sinn dieses Manövers.
„Ich habe sehr früh damit angefangen, das Alter für eine unzumutbare Gemeinheit zu halten.“ Wie sehen Sie als 89-Jähriger Ihr Zitat?
Walser: Den Satz kann ich natürlich nicht mehr sagen. Ich weiß nicht, wie alt ich war, als ich diesen Satz gesagt habe. Ich habe inzwischen Grund, dass ich das so genannte Alter genauer nehme und habe deshalb in meinen Roman das Kapitel über das Alter hineingenommen. Auch weil ich dachte, dass ich jetzt einige genauere Empfindungsarten preisgeben kann, die mit nichts als dem Alter zu tun haben. Ich sehe es nicht mehr als große Gemeinheit, sondern ich will damit umgehen als Schriftsteller. Und das habe ich meinem Theo Schadt untergejubelt. Ich bin sehr froh, dass ich das gemacht habe.
Es gibt bei Rezensionen Ihrer Romane immer wieder den Versuch, Ihnen irgendwelche autobiografischen Züge anzuhängen. Sie empfehlen dann lediglich, das Buch zu lesen. Ein Zitat Ihres Protagonisten im neuen Roman lautet: „Letzten Endes war uns alles Politische egal. Ich war praktisch so wenig ,rechts‘ wie er ,links‘.“ Hat das doch etwas Autobiografisches?
Walser: Das ist ganz klar ein Ausdrucksmittel, um Schadts Verhältnis zu diesem Carlos Kroll zu beschreiben. Das ist eine sehr grobe Einteilung. Aus dem Roman heraus möchte ich für mich persönlich und meine Haltung nichts feststellen. Es ist lediglich ein Moment der Charakterisierung der beiden Figuren, nicht mehr.
Diese Links-rechts-Schublade hat den Vorteil, dass man sofort weiß, warum jemand etwas Bestimmtes sagt.
Walser: Ja, das ist so.
Ist es nicht auch ein Schema unserer aktuellen Politik? Täuscht der Eindruck, dass Sie von Politikern nicht so sehr viel halten?
Walser: Ja, der täuscht. Ich habe doch schon öffentlich meine Verehrung für Angela Merkel ausgedrückt. Es ist ungeheuer, dass wir eine solche Kanzlerin haben. Das kann man gar nicht laut genug sagen. Das empfinde ich als belegt, als geprüft, als sachlich durchdacht, dass diese Frau für uns ein Glücksfall ist.
Ihr Lob beschreibt bei ihr das Außergewöhnliche und damit das Mittelmaß anderer Politiker.
Walser: Ja, gut. Ich will über andere Politiker gar nichts sagen, aber ich weiß nicht, was ich sagen würde, wenn wir, zum Beispiel, Steinmeier als Kanzler hätten. Da würde ich zweifellos nicht derart schwärmen können, da wäre ich ein bisschen sachlicher.
Bei der Recherche zu Ihrem Buch haben Sie sich in Internetforen bewegt, zum Beispiel auf dem Suizidforum. Was für ein Medium ist für Sie das Internet?
Walser: Da darf ich mich nicht überschätzen lassen. Das Suizidthema habe ich natürlich für meinen Theo Schadt dringend gebraucht. Dass ich das erzählerisch hineinnehmen konnte, liegt an meiner Co-Autorin Thekla Chabbi. Durch sie bin ich ins Suizidforum gekommen, das konnte ich natürlich gut brauchen.