Leiden an der „Altersheimer-Krankheit“

Buchkritik: Irene Disches neue Erzählung über einen 90-jährigen: „Der Doktor braucht ein Heim“.

<strong>Düsseldorf. Keine Schriftstellerin kann derzeit so hinreißend erzählen wie die Deutsch-Amerikanerin Irene Dische. Man erinnere sich nur an den grandiosen autobiographischen Roman "Großmutter packt aus" oder an den Erzählungsband "Lieben". In dieser neuen Erzählung braucht sie netto gerade einmal 35 Seiten, um das 90-jährige Leben eines Juden zu erzählen, der, aus Galizien stammend, dem Holocaust Richtung New York entwischte - im Gegensatz zu einigen Familienmitgliedern -, für seine Forschungen den Nobelpreis für Chemie erhielt und nun zwischen der Erinnerung an Drohobyc, USA und Wien pendelt. Dort belegt er noch immer an der Universitätsklinik ein Zimmerchen. Am späten Vormittag sucht er traditionell ein Caféhaus auf, wo er Zeitung liest. Kurioserweise trägt es den Namen MacDonald’s, vielleicht gehört es ja jenem "noblen" Forscher, der genauso hieß und ihn jetzt nur ärgern will. Nebenbei stellt er ein wenig staunend fest: "Die Neger ersetzen in diesem Café die Juden." Denn die gibt’s ja nun nicht mehr. Ja, bei Dische ziehen immer auch sanfte Gasschwaden der Erinnerung durch den Text.

Nicht selten kippt der Witz, der darin besteht, dass Wörter sich etwa durch die "Altersheimer Krankheit" und, in der Folge, die "Vergreisnisse", fast zynisch verselbständigen. So verwandelt sich beispielsweise das abendliche Fernsehprogramm in ein "Unterhaltungspogrom", was dennoch wiederum nicht wirklich ganz falsch ist.

Und dann hat ja auch das "Doktorchen" ein erstaunlich amouröses Leben vorzuweisen, begonnen bei Annula, fortgesetzt mit Barbara, Katinka, Giedonka, Zescha und Gretel, wobei Letztere die Wichtigsten bleiben. Dazwischen taucht noch einmal seine Nachbarin auf, die ihm einmal die Wohnung reinigt. Später erfährt er, dass sie wohl seine Tochter ist, immerhin ist sie bildhübsch.

Aber Gretels Telefonnummer kennt er immer noch und belagert sie im Wiener "Domizil Dr. Umpfenbach" ihres Vaters fast krankhaft. Und all diese Umpfenbachs, Männer wie Frauen, sind seit Generationen Pathologen! Natürlich in der "Morgue".

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