Krachts „Imperium“: Vom Rittter der Kokosnuss

Berlin (dpa) - Es ist also ein Aussteigerroman geworden - und das mitten in der wilhelminischen Kolonialzeit. In seinem neuen Buch „Imperium“ (Kiepenheuer & Witsch) schickt Christian Kracht einen esoterischen Eiferer ans Ende der Welt:

Von der Südsee aus will er ein vegetarisch-nudistisches Weltreich gründen. Dass der meisterlich erzählte Versuch scheitern muss, ist vorprogrammiert. Der Roman ist Krachts ausgereiftestes Werk. Mit seinem vierten Roman eckt der Schweizer Schriftsteller, Journalist und Weltbürger aber auch an.

August Engelhardt fühlt sich sichtlich unwohl inmitten seiner tumben Landsleute, einem Haufen ignoranter Pflanzer. Per Schiff ist der Nürnberger zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts samt kleiner Erbschaft im Gepäck auf dem Weg in die Südsee. In Deutsch-Neuguinea (heute: Papua-Neuguinea) will der Mittzwanziger ein Stück Land kaufen, um nackt Sonne und Kokosnuss huldigen zu können. Denn mehr brauche der Mensch für seine Erleuchtung nicht, so Engelhardts selbsterdachte Religion des Kokovorismus. Im wilhelminischen Kaiserreich wäre an so einen Unsinn natürlich nicht zu denken gewesen.

Das also ist Krachts neuer Held: ein Spinner, Weltentrückter, Aussteiger und Verlorener mitten in der deutschen Kolonialzeit. Was wie das Ergebnis einer durchzechten Nacht klingt, ist indes historisch verbucht. Tatsächlich rief Engelhardt 1902 auf der Insel Kabakon im Bismarck-Archipel seinen Sonnenorden aus. Schon im vergangenen Jahr war mit Marc Buhls „Das Paradies des August Engelhardt“ ein Buch über den durchgeknallten Kokovoren erschienen.

Selten hat man Kracht so humorgeladen und fabulierfröhlich erlebt wie in diesem Abenteuerroman. Ging der heute 45-Jährige zuletzt mit schmerzlich präziser Sprache vor, schlägt er nun eine verschnörkelt-ironische Tonart an, die so ganz zur Jahrhundertwende passen will. Da darf etwa ein Moskito seinen Rüssel nach langem Anflug voller Inbrunst in den Nacken eines Kolonialdeutschen schlagen. Dass aus der selben Feder zuletzt eher Düsteres tropfte, scheint da kaum vorstellbar.

Seit seinem Debüt „Faserland“ zählt Kracht zu den wichtigen deutschsprachigen Literaten der Gegenwart - stampfte er damit ja immerhin die Popliteratur aus dem Boden. In dem 1995 erschienenen Buch schickte Kracht seinen schnöseligen Helden durchs Land, das von einem gefühllosen Haufen Partygänger im Dauerrausch beherrscht zu sein schien. In „1979“ (2001) ließ er einen Deutschen im Iran den Zusammenbruch des Schah-Regimes erleben. Und mit dem Dauerkriegsepos „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ (2008) ließ er zuletzt die Schweizer Sowjet-Republik im Herzen Europas untergehen.

Krachts Engelhardt ist natürlich trotz allen Optimismus' von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Zwar erhält der Aussteiger mit dem Berliner Pianisten und Gleichgesinnten Max Lützow willkommene Gesellschaft. Mit dem alleinigen Verzehr von Kokosnüssen - abgesehen von eigenen Finger- und Fußnägeln - ruiniert er aber zunehmend Gesundheit und Verstand. Schließlich verfällt er einem kruden Antisemitismus, mit dem er seine Misere zu rechtfertigen versucht.

Anders als belegt lässt Kracht seinen tragischen Helden länger leben. Der historische Engelhardt starb schon 1919 vereinsamt auf seinem Eiland. In „Imperium“ darf er das Ende des Zweiten Weltkriegs miterleben und zum fröhlichen Cola-Trinker werden. Wieder einmal zeigt Kracht sein Interesse an Grenzgängern, die an ihren Überzeugungen und der Wahrheitssuche letztlich scheitern (müssen).

Immer wieder unterbricht dabei der Erzähler im Buch die Handlung, um zu erklären und zu kommentieren. Kurzerhand wird die Verbindung zwischen dem Kokovoren und dem Vegetarier Adolf Hitler aufgestellt. Auch kann er die ironische Bemerkung nicht lassen, dass das zwanzigste Jahrhundert doch lange so aussah, „als würde es das Jahrhundert der Deutschen werden.“

Mit solchen Bemerkungen handelte sich Kracht indes schon vor der Veröffentlichung heftige Kritik ein. Im „Spiegel“ schrieb Georg Diez, wie Kracht Autor bei Kiepenheuer & Witsch: „Wenn man genau hinschaut, ist "Imperium" von Anfang an durchdrungen von einer rassistischen Weltsicht.“ Kracht sei „der Türsteher der rechten Gedanken“. KiWi-Verleger Helge Malchow wies dies entschieden zurück. Der Artikel „sprengt die Grenzen der Literaturkritik“, erklärte Malchow und sprach von „Unterstellungen und atemberaubenden Verdrehungen“. Andere Kritiker hatten „Imperium“ zuvor hochgelobt.

Schon 2007 hatte die „Süddeutsche Zeitung“ den Vorwurf erhoben, Kracht stöbere bedenklich nah am rechten Rand herum. Anlass war damals ein Interview mit dem US-Komponisten David Woodard im neofolkloristischen Magazin „Zwielicht“. Darin hatten beide laut über den Wiederaufbau der deutsch-nationalen Siedlung Nueva Germania in Paraguay als „arisches Zentrum“ nachgedacht.

Von Kracht selbst war zu all dem nichts zu hören. Vielleicht weil er als Verrückten-Versteher am besten weiß, wie etwas gemeint ist. Ob das auch andere nachvollziehen können, spielt da zunächst keine Rolle.

Christian Kracht

Imperium

Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln

256 S., 18,99 Euro

ISBN 978-3-462-04131-6

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