Jubiläum: Albert Camus und die Suche nach dem Glück

Vor 100 Jahren wurde der große französische Schriftsteller geboren. Er gibt den Menschen bis heute Hoffnung auf eine bessere Welt.

Warum werden wir geboren? Warum sterben wir? Es ist die Frage nach dem Sinn des Lebens, die Albert Camus umtrieb. Der französische Journalist, Schriftsteller und Philosoph, der am 7. November vor 100 Jahren geboren wurde, war wahrlich ein Jahrhundertmann. Weil er Lehren aus den unsagbaren Schrecken des frühen 20. Jahrhunderts zog. Und weil er heute, im 21. Jahrhundert, so aktuell ist wie damals. Ein wahrer Klassiker.

Wer Camus verstehen will, muss sich mit seinem Leben beschäftigen. Er wird 1913 in Algerien als Nachfahre französischer Einwanderer geboren. Er ist kein Jahr alt, als sein Vater Lucien im Oktober 1914 im Ersten Weltkrieg fällt. Als Albert Camus 20 Jahre alt ist, kommt Adolf Hitler an die Macht. Als er 26 ist, bricht der Zweite Weltkrieg aus.

„Ich bin wie die Männer meines Alters unter den Trommelwirbeln des Ersten Weltkrieges aufgewachsen, und unsere Geschichte war seither nichts als Mord, Ungerechtigkeit und Gewalt”, schreibt er in seinem Essay „Das Rätsel“. Camus gehört zu einer Generation, für die die Gefährdung der Existenz zum kollektiven Erlebnis wurde. Hinzu kommt früh eine persönliche Konfrontation mit der Endlichkeit: Mit 17 zeigen sich bei ihm erste Anzeichen einer Tuberkulose-Erkrankung, die ihn sein Leben lang begleiten wird.

Camus ist in vielerlei Hinsicht mit einer Sinnlosigkeit des Lebens konfrontiert. Doch er ist zugleich ein durch und durch positiver Mensch. Er ist sportlich, attraktiv. Er liebt das Leben und die Frauen. Und er liebt seine Heimat Algerien, die Sonne, den Strand, das Meer.

Es ist dieses Spannungsverhältnis, das Camus‘ Werk ausmacht. Im Angesicht der Sinnlosigkeit, des Schreckens und des Todes will er dem menschlichen Leben Glück und Würde wiedergeben. 1942 erscheinen die Erzählung „Der Fremde“ und das Essay „Der Mythos von Sisyphos“ — zwei Werke, die ihn auf einen Schlag berühmt machen. Camus wird zum „Philosophen des Absurden” — der Schlüsselbegriff in seinem ersten Werkzyklus.

„Absurd” — das ist für Camus der Widerspruch zwischen der unstillbaren Sinnsuche des Menschen und dem Schweigen der Welt darauf. Er selbst ist nicht gläubig, die christliche Heilslehre ist für ihn kein Weg. Seine Antwort bleibt im Hier und Jetzt: Der Mensch muss gegen dieses Schicksal revoltieren und darf nie das Verlangen nach Klarheit aufgeben. Die Sinnsuche bleibt der Antrieb seines Lebens, sie gibt ihm absolute Freiheit. „Vom Wind gesät, vom Wind geerntet, und dennoch ein Schöpfer, das ist der Mensch durch die Jahrhunderte, und stolz, einen einzigen Augenblick zu leben“, schreibt er 1959 in sein Tagebuch.

Doch Camus bleibt nicht beim Absurden stehen. Mit dem Roman „Die Pest” (1947), für den er zehn Jahre später den Literaturnobelpreis erhält, und viel stärker noch im Essay „Der Mensch in der Revolte“ (1951) geht er einen Schritt weiter. Er rechnet mit den großen totalitären Ideologien seiner Zeit ab: dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus, die Millionen in den Tod rissen. An ihnen erkennt er einen Schwachpunkt seiner eigenen Argumentation: Wenn das Leben keinen Sinn hat und wenn der Mensch dadurch absolute Freiheit erlangt, dann hat auch nichts einen Wert — auch das einzelne Menschenleben nicht. Camus entwickelt eine eigene Ethik und stellt der Orientierungslosigkeit seiner Zeit die Solidarität der Menschen gegenüber. Weil wir alle dasselbe Schicksal des Absurden erleiden, sind wir zur „Komplizenschaft“, zur gegenseitigen Hilfe verpflichtet.

Es ist dieses Tröstliche, dieses zutiefst Menschliche, das bis heute an Camus fasziniert. Unsere Zeit hat die großen Ideologien weitgehend überwunden. Doch die Sinnsuche und die Verführer, die mit einfachen Lösungen darauf antworten, dies alles ist hochaktuell.

Camus stirbt am 4. Januar 1960 im Alter von gerade einmal 46 Jahren bei einem Autounfall. Er wird im südfranzösischen Lourmarin beerdigt, wo er sich von seinem Nobelpreisgeld ein Haus gekauft hatte. Er liebte Lourmarin, wo er die Schönheit und Ruhe seiner algerischen Heimat wiedergefunden hatte. Im Essay „Das Rätsel“ schrieb er mit Blick auf seine Heimat: „Im schwärzesten Nihilismus unserer Zeit suchte ich nur Gründe, ihn zu überwinden. Übrigens nicht aus Tugend, noch aus einer seltenen Seelengröße heraus, sondern aus instinktiver Treue zu jenem Licht, in dem ich geboren wurde und in welchem seit Jahrtausenden die Menschen gelernt haben, das Leben zu bejahen bis in seine Leiden hinein.”

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