Günter Grass widmet Lesung Hildebrandt

Lübeck (dpa) - Gestärkt mit einem Schluck Rotwein geht Günter Grass ans Stehpult, um aus seinem Roman „Hundejahre“ zu lesen - für ihn sein wichtigstes Buch noch vor dem Welterfolg „Die Blechtrommel“.

Bevor der 86 Jahre alte Nobelpreisträger am Donnerstagabend im Lübecker Grass-Haus mit kaskadenartigem Wortschwall und stimmgewaltig rezitiert und die wie im Halbkreis um ihn stehenden Gäste in den Bann zieht, widmet er in leisen Worten diese Lesung dem gestorbenen Kabarettisten Dieter Hildebrandt.

Sie beide seien Jahrgang 1927, hätten ähnliche Lebensläufe und - auf unterschiedliche Weise - den Grundsatz verfolgt, „den Mund aufzumachen und Ross und Reiter zu nennen“, sagt Grass ebenso nachdenklich wie entschlossen. Dann liest er eine halbe Stunde lang eine Episode aus den „Hundejahren“, in der es - typisch Grass - vor allem ums Essen, genauer um Innereien, Talg, Sud und geronnenen Urin geht. Manche Zuhörer schütteln sich leicht, essen Brezeln und nippen an ihren Rotweingläsern. Und es wird viel gelacht, wenn Grass in kaschubische Mundart verfällt.

Mit der Lesung wurde eine Sonderausstellung zum Jubiläum von „Hundejahre“ im Grass-Haus eröffnet. Unter dem Titel „50 Hundejahre. Künstlerroman, Ammenmärchen, Heimatfibel“ beleuchtet die Schau Intention und Entstehungsgeschichte des Romans, der die Schrecken der jüngeren deutschen Geschichte als Hintergrund hat.

Fast sieben Jahre hat Grass an dem Roman als Abschluss der „Danziger Trilogie“ geschrieben, nach der „Blechtrommel“ und „Katz und Maus“. Als das Werk 1963 erschien, überschlugen sich die Kritiker vor Begeisterung. Sie sprachen von „heißlaufender Phantastik“ und einem „kaum gebändigten Hagelschauer von Einfällen“. 50 Jahre später hat sich Grass des Romans noch einmal angenommen und für eine Jubiläumsausgabe 138 Radierungen gefertigt. Sie stehen im Mittelpunkt der Sonderschau (bis 2. Februar).

„Die "Hundejahre" sind nicht leicht zu lesen. Aber sie sind Grass' bildreichstes, lautestes und vielseitigstes Werk. Für uns als Forum für Literatur und bildende Kunst gibt es kein dankbareres Thema“, betont Ausstellungskuratorin Viktoria Krason.

Die neuen Radierungen und Tuschezeichnungen aus der Entstehungszeit des Romans bieten Einblicke in den Entstehungsprozess der „Hundejahre“. Drei Schreibtische in der Mitte des Ausstellungsraumes stehen für die drei Bücher der „Chronik“, als die der Roman angelegt ist. Ihr fiktiver Herausgeber und zugleich die zentrale Künstlerfigur des Buches ist Eduard Amsel, ein begnadeter Vogelscheuchenkonstrukteur und Ballett-Choreograph. Im dritten Teil des Romans hat er es schließlich zum Fabrikanten gebracht, der seine Vogelscheuchen in einem Bergwerk in Serie fertigt.

Anregungen für die Vogelscheuchen fand Grass in den Marionetten und kinetischen Plastiken von Harry Kramer (1925 - 1997), mit dem er befreundet war. Einige Figuren aus Kramers „Mechanischem Theater“ sind als Leihgaben des Lübecker Theaterfigurenmuseums zu sehen. Amsels Kunst taucht auch in anderen Projekten auf, die im Zusammenhang mit den „Hundejahren“ entstanden sind - ein Hör- und Theaterspiel zum Beispiel und ein Ballett, das 1970 mit der Musik von Aribert Reimann uraufgeführt wurde. Auch in den neu entstandenen Radierungen spielen die Vogelscheuchen eine Rolle, dazu Wölfe und Hunde, die dem Roman den Namen gaben.

Mit „Hundejahre“ festigte Grass seinen Ruf als sprachgewaltiger Fabulier-Künstler. „Die Tatsache, dass er sich nach 50 Jahren noch einmal bildkünstlerisch mit dem Werk auseinandergesetzt hat, zeigt, wie wichtig ihm gerade dieses Buch ist“, betont der Leiter des Hauses, Jörg-Philipp Thomsa. Zum Abschluss der Lesung blickt Grass auf und richtet sich ans Auditorium: „Soweit die "Hundehüttenwoche", den Rest müssen Sie selber lesen.“

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