Das Wunder von Porto Die Lello widersetzt sich dem Sterben der Buchläden

Porto (dpa) - Manch uneingeweihter Passant muss sich vor der Livraria Lello verwundert die Augen gerieben haben. Lange Schlangen vor einem Buchladen? Ob ein berühmter Autor liest und Autogramme gibt? Nein.

Das Wunder von Porto: Die Lello widersetzt sich dem Sterben der Buchläden
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An der Nummer 144 der Rua das Carmelitas in Porto im Norden Portugals ist das Alltag.

Das Wunder von Porto: Die Lello widersetzt sich dem Sterben der Buchläden
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Oft führt die Schlange sogar um den Block. Dabei kassiert Lello als vielleicht einzige Buchhandlung der Welt sogar Eintritt. Vier Euro pro Kopf. Während allerorts das Sterben der Buchläden beklagt wird, muss man hier mit den Ansturm der Menschen aus aller Welt und jeden Alters fertig werden.

Die Lello wird von Medien wie CNN oder The Guardian seit jeher als einer der schönsten Buchläden der Welt gewürdigt. Irgendwann „kam“ auch noch dieser Zauberlehrling, der den Ansturm in den vergangenen Jahren zusätzlich verstärkte. „Als Fan von Harry Potter musst du hier einmal gewesen sein“, sagt der 23-jährige Jan aus Bremen, der vor der schmalen gotischen Fassade auch im kühlen Nieselregen mit sichtlicher Vorfreude in der Schlange wartet. Die britische Autorin J.K. Rowling, die Anfang der 1990er Jahre als Englischlehrerin in Porto gelebt hat, soll in der Lello zu den schwingenden Treppen des Zauberinternats Hogwarts inspiriert worden sein.

„Die Besucher waren schon seit Anfang der 2000er Jahre immer mehr geworden, aber Bücher haben wir auch so lange Zeit kaum verkauft“, erzählt Sprecher Manuel de Sousa der Deutschen Presse-Agentur. Vor vier Jahren habe der Laden - obwohl immer brechend voll - deshalb kurz vor der Insolvenz gestanden. Da habe jemand die auf den ersten Blick verrückte Idee gehabt, Eintritt zu kassieren. „Das war auch intern sehr umstritten und wurde viel diskutiert“, verrät Sousa.

Dagegen war zunächst auch José Manuel Lello, der den Laden seit 1980 in fünfter Generation betreibt. Sein Ururgroßvater hatte die Livraria als Buchhandlung, Verlag und Druckerei 1881 gegründet. Man sei schließlich Verleger und Buchhändler, und nicht ein Museum oder gar ein literarisches Disneyland, sagten die Skeptiker um Lello. Doch der Boss ließ sich nach monatelangen Debatten zähneknirschend überzeugen. Das sollte sich als Glücksfall herausstellen.

Neben der Einführung des Eintrittsgeldes im Jahr 2015 stellte man sich aber auch auf das Publikum ein: Die Harry-Potter-Bücher nehmen nun (sehr) prominenten Platz ein. Daneben bietet man Autoren wie Fernando Pessoa und José Saramago auch in Übersetzungen an. Rund die Hälfte der Bücher sei auf Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und Italienisch, so Sousa. Verkaufshit und „Wundermacher“ sei aber Harry Potter - in allen Sprachen. Das Eintrittsgeld wird beim Kauf eines Buches verrechnet. Und natürlich gibt es inzwischen auch Souvenirs wie Seifen, Postkarten und Parfüms zu kaufen.

Die Folge der „Revolution“, wie eine Zeitung die ungewöhnlichen Maßnahmen nannte: Trotz Eintrittsgeldes stieg die Besucherzahl allein im vergangenen Jahr um knapp 20 Prozent auf 1,2 Millionen. Die reinen Selfie-Knipser sind aber nun in der Minderheit. Der Jahresumsatz schoss von einer Million Euro (2015) zunächst auf 5,1 (2016) und auf 7,2 Millionen Euro im vorigen Jahr in die Höhe. Die Zahl der verkauften Bücher kletterte von 50 000 (2015) auf 280 000 (2017), die der Mitarbeiter im Zeitraum von sieben auf 45. 2016 wurden zwei Millionen Euro für Renovierungsarbeiten ausgegeben.

„Die Touristen geben jetzt nicht nur in den Portweinkellereien am Douro-Ufer Geld aus“, lacht Sousa, als er stolz durch die Livraria im Jugendstil führt: Auffällig sind die dunkle Holzvertäfelung und die hohen Räume, der größte Blickfang - nicht nur für Potter-Fans - ist aber natürlich die berühmte Treppe mit den roten Stufen, durch die man ins offen gestaltete Obergeschoss gelangt.

Sousa & Co. wollen derweil nicht nur die Lello retten. Sie widersetzen sich auch in größerem Umfang dem Sterben der Buchläden. Aus Anlass des Welttages des Buches findet am Montag (23.4.) in Porto auf Initiative der Portugiesen daher das zweite Treffen der „schönsten Buchläden der Welt“ statt. Dabei will man mit Vertretern unter anderem von Boekhandel Dominicanen aus Maastricht und The Last Bookstore aus Los Angeles über mehr Zusammenarbeit und gemeinsame Maßnahmen zur Rettung des Sektors sprechen. Sousa: „Nach unserem ersten Treffen 2017 wollen wir jetzt Nägel mit Köpfen machen.“

Die Lello, seit 2013 unter Denkmalschutz, gilt in ganz Portugal wegen des exzellenten literarischen Angebots mit viel Lyrik und einem politischen Segment, aber auch wegen des imposanten, spärlich beleuchteten Innenraums als „Kathedrale des Buches“. Den aktuellen Standort nimmt der Laden seit 112 Jahren ein. Die Lello-Brüder José und Antonio beauftragten Anfang des 20. Jahrhunderts den Ingenieur Francisco Xavier Esteves mit dem Bau. 1906 war die Eröffnung des tempelartigen ersten Stahlbetonbaus Portos ein nationales Ereignis.

Bei der Einweihung gaben sich die Angehörigen der politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Elite die Klinke in die Hand. Heute stehen sich Potter-Fans gegenseitig auf den Füßen. Sousa muss bei seiner Führung ständig stehenbleiben und sich klein machen, um die Ströme vorbeizulassen. „Im Sommer wird es schlimmer, dann haben wir bis zu 5000 Besucher pro Tag, die auch lange drin bleiben“, erzählt er. Dann müsse man Organisationstalent an den Tag legen, um die draußen Wartenden bei Laune zu halten.

Sousa weiß, dass man J.K. Rowling viel zu verdanken hat. Ob die Autorin davon weiß? Sousa: „Sie war seitdem nie wieder im Laden, vielleicht laden wir sie mal ein.“

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