Buch Der neue Rushdie: Mehr Glanz als Gold

Mit seinem neuen Roman „Golden House“ scheitert der verfemte Autor der „Satanischen Verse“ grandios an dem Versuch, die große amerikanische Erzählung vom Aufstieg Donald Trumps zu liefern.

Buch: Der neue Rushdie: Mehr Glanz als Gold
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Düsseldorf. Der grobe Plot hört sich vielversprechend an: Am Tag der Amtseinführung Barack Obamas trifft „ein ungekrönter etwa siebzigjähriger König mit seinen drei mutterlosen Söhnen in New York City ein, um seinen Palast im Exil zu beziehen“. Die folgenden 500 Seiten handeln davon, wie während der acht Jahre bis zur Wahl Donald Trumps das Böse Besitz ergreift von einer Gesellschaft im Niedergang. „Clowns werden Könige, alte Kronen liegen in der Gosse. Dinge ändern sich. Das ist der Lauf der Welt“, heißt es zusammenfassend auf Seite 508.

Aber da muss man erstmal hinkommen. Um es gleich zu sagen: Große Geschichte, und ein größerer Erzähler könnte daraus einen noch größeren Text machen, einen, wie es ein Klappentext-Kritiker über Rushdies mit Spannung erwartetes Buch behauptet, „großen Gatsby“ unserer Zeit. Das ist Rushdie nicht gegeben. Er ist meilenweit von großen Gegenwarts-Beispielen erzählter Zeit wie Jonathan Lethems „Festung der Einsamkeit“ über das Brooklyn der 70er Jahre oder Don DeLillos „Falling Man“ über die inneren Zerstörungen des 11. September entfernt. Rushdie will zu viel, und er will es zu platt. Der Wälzer ist mit Kreuzundquer-Verweisen ohne erzählerischen oder inhaltlichen Nutzen und mit Bildungs-Nippes überladen wie die Fahrerkabine eines pakistanischen Lkw.

Das ist das Problem mit Autoren wie Salman Rushdie, deren Ruhm sich mehr aus ihrem Schicksal als aus ihren Büchern speist, weshalb vielleicht auch seine 2012 veröffentlichte Autobiografie „Joseph Anton“ sein bestes Buch ist. Noch immer von Todesdrohungen verfolgt, lebt Rushdie seit 20 Jahren in New York, und man staunt, wie wenig New York sich letztlich in „Golden House“ wiederfindet.

Der ungekrönte König, dessen Haus in New York dem Roman den Namen gibt, heißt Nero Golden, und die pompösen historischen Namen, die er sich und seinen Söhnen gegeben hat, sollen seine wirkliche Vergangenheit als in Mafia-Geschäfte verstrickter indischer Immobilien-Tycoon aus Mumbai auslöschen. Was natürlich nicht gelingt, zumindest nicht in einem Rushdie-Text, in dem die guten wie die bösen Helden nie von ihrer Geschichte losgelassen werden; das Böse, das Nero Golden umgibt, frisst das Gute um ihn einfach auf. Der Erzähler der Geschichte, René, ein Professoren-Sohn mit belgischen Vorfahren und wenig talentierter Filmemacher, hat beschlossen aus der Geschichte dieser neuen Nachbarn, jenes bösen und proletenhaften Clown-Königs Nero Golden, sein großes Drehbuch zu schreiben.

Das geht zu Lasten der Lesenden gründlich schief: Der ganze Text ist überladen und verkleistert mit Comic- und Literatur-Zitaten, Drehbuch-Versatzstücken, elenden Wiederholungen und regelrecht plumpen Passagen des Bedeuten-Wollens. Viel schlimmer aber ist, dass Rushdie so berechenbar ist: Wenn Nero Golden auf Seite 208 an Renés Tür klopft und irgendeine Nebenfigur sie öffnet, kann man verlustfrei bis 210 weiterblättern, wo Nero dann endlich sagt, was er zu sagen hat. Das ermüdet über eine Strecke von 500 Seiten erheblich, trotz des bunten Straußes von Liebe, Hass, Lüge und Verrat, den Rushdie zwischen den Goldens und ihrem Chronisten René auffächert. Erzählerisch ist das nicht mehr „magischer Realismus“, sondern fauler Zauber.

Worum es leider nicht geht im Buch, obwohl es so tut: Darum, was in Amerika zwischen 2008 und 2016 geschehen und nicht geschehen ist, dass in der Zeit seines smartesten Präsidenten das Banale und das Böse so wuchern konnte, dass am Ende der Joker in Gotham City an die Macht kam. Rushdie erzählt nicht von den Verführungen des Niveau-Verlusts und der Verkommenheit der politischen Klasse, er verkündet das nur. Denn natürlich haben Nero Golden und der Joker (der Bösewicht aus den Batman-Comics mit der grünen Perücke und dem kranken Lachen), der hier 1:1 Donald Trump ist, nichts miteinander zu tun. Das Plinius-Zitat der Vordruckseite, wonach die Geschichtenerzähler im alten Rom riefen „Gebt mir eine kupferne Münze, und ich erzähle Euch eine goldene Geschichte“, bleibt unerfüllt.

Dass, was Rushdies Erzähler (in diesem Fall wohl er selbst) über den Aufstieg Trumps zu erzählen hat, konzentriert sich letztlich auf vier Seiten Beschimpfung und Fassungslosigkeit. „Die Ursprünge des Jokers waren umstritten, der Mann selbst schien seine Freude daran zu haben, widersprüchliche Versionen des Kampfs um die Lufthoheit zuzulassen, aber in einem was sich alle, leidenschaftliche Unterstützer und erbitterte Gegner, einig: Er war vollkommen und nachweisbar geisteskrank. Das Erstaunliche, dass dieses Wahljahr zu einem unvergleichlichen machte“, heißt es auf Seite 336, „war, dass die Leute ihn unterstützten, gerade weil er geisteskrank war und nicht dessen ungeachtet. Was jeden anderen Kandidaten disqualifiziert hätte, machte ihn zum Helden seiner Anhänger.“

Das ist ein bisschen zu dünn um schon die literarische Verarbeitung eines epochalen Einschnitts der Geschichte der westlichen Welt zu sein.

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