Christian Delius: Findig und erfinderisch

Friedrich Christian Delius erhält den Georg-Büchner-Preis, die wichtigste literarische Auszeichung in Deutschland.

Darmstadt. Friedrich Christian Delius (68) war am Wochenende noch mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung auf der Frühjahrstagung in Stockholm. Er ist selbst Mitglied der Akademie, die den Georg-Büchner-Preis vergibt. Bevor der Tross am Sonntag in den Bus stieg, nahm ihn Akademie-Präsident Klaus Reichert zur Seite: Das Präsidium habe beschlossen, ihm den Büchner-Preis am 29. Oktober zu verleihen.

In der Begründung heißt es: „Als kritischer, findiger und erfinderischer Beobachter hat Delius in seinen Romanen und Erzählungen die Geschichte der deutschen Bewusstseinslagen im 20. Jahrhundert erzählt.“

Herr Delius, wie war Ihre Reaktion, als Sie vom Preis erfuhren?

Delius: Als erstes habe ich gesagt: „Meine Haare sind doch noch nicht wirklich grau.“ Ich musste die Vergabe auch geheim halten — nicht mal mein Verlag wusste es bis Mittwoch, nur meine Frau.

Sie haben schon zahlreiche Auszeichnungen bekommen. Hat der Büchner-Preis einen besonderen Stellenwert?

Delius: Sicher! Ich bin seit über 40 Jahren in diesem literarischen Betrieb. Und der Büchner-Preis war immer das Höchste und Größte, was man in Deutschland erreichen kann. Ich fühle mich sehr geehrt und auch ein bisschen beschämt für manche, die ihn noch nicht haben. Aber erstmal bin ich überrumpelt-froh!

Was fangen Sie mit dem Preisgeld von 50 000 Euro an?

Delius: Also, darüber habe ich mir noch keine Sekunde Gedanken gemacht. Es ist nicht so, dass ich eine Fernreise nach XY im Kopf hätte, die jetzt sofort angetreten werden müsste. Gleich ausgeben werde ich das Geld sicher nicht. Unsereiner hat ja wirklich immer schlecht verdient und eine entsprechend niedrige Rente.

Sie gelten als „Chronist deutscher Zustände“. Wie beurteilen Sie die Lage Deutschlands derzeit?

Delius: Das kann ich nicht in einem Satz sagen. Ich bin keiner, der Formeln oder gar Meinungsformeln abgibt. Ich bin ein Beobachter, und der lässt sich nicht auf flinke Meinungen ein. Aber was ich sagen kann: Ich lebe ja überwiegend in Italien, weil meine Frau in Rom arbeitet. Und ich sehe, wie dieses Italien vor die Hunde geht, und weiß dann sehr zu schätzen, was wir in der Bundesrepublik haben. Bei allen Malaisen und Skandälchen.

Sie gelten als „Autor der 68er Generation“. Sind Sie heute enttäuscht von der Bewegung?

Delius: Nein, da gibt es keine Enttäuschungen. Es ist nichts falsch daran, die Welt ein wenig gerechter machen zu wollen. Das war ja der Ausgangspunkt von ‘68. Dass das dann bei vielen in Parteidogmatismus und eine falsch verstandene Radikalität abgerutscht ist, habe ich schon damals kritisiert. Ich habe auch nicht zu diesen Fraktionen gehört, sondern zu den undogmatischen, weltoffenen Leuten. Insofern gibt es da keinen Grund, enttäuscht zu sein. Solange es Leute gibt, die ihren Verstand dazu benutzen, nicht nur an sich selbst zu denken, sondern ein paar Schritte weiter und in die Zukunft.

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