Büchner-Preis für Reinhard Jirgl

Die Jury lobt Sensibilität und Leidenschaft des Romanciers.

Darmstadt. Der letztjährige Preisträger Walter Kappacher ist gelernter Motorradmechaniker, Reinhard Jirgl Elektro-Ingenieur: Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat den Georg-Büchner-Preis erneut an einen Schriftsteller mit ungewöhnlichem Karriereweg vergeben.

Der in der DDR aufgewachsene Jirgl habe in "einem Romanwerk von epischer Fülle und sinnlicher Anschaulichkeit ein eindringliches, oft verstörend suggestives Panorama der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert entfaltet", begründete die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gestern in Darmstadt ihre Wahl.

Der mit 40.000 Euro dotierte Georg-Büchner-Preis gilt als wichtigste literarische Auszeichnung in Deutschland. Mit seinem Epos "Die Stille" war Jirgl im vorigen Jahr bereits für den Deutschen Buchpreis nominiert.

In der DDR hatte der gebürtige Ost-Berliner eine Stelle als Ingenieur aufgegeben, arbeitete lieber als Beleuchter an der Berliner Volksbühne, um Zeit zum Schreiben zu haben. Aber in der DDR hatte er keine Chance zu publizieren. Als er 1985 sein erstes umfangreiches Manuskript "Mutter Vater Roman" beim Aufbau-Verlag Berlin einreichte, wurde ihm eine "nichtmarxistische Geschichtsauffassung" vorgeworfen.

Der 57-Jährige freute sich in einer ersten Reaktion sowohl über den materiellen Wert des Preises - die 40.000 Euro seien eine große Unterstützung - als auch über den ideellen Wert. "Anhand dieses Preises kann ich erkennen, dass mit meinem Schreiben doch etwas in Ordnung sein muss, vielleicht gerade auch wegen meiner Eigenheiten", sagte Jirgl, der literarisch als extremer Einzelgänger gilt, aber schon vielfach ausgezeichnet wurde.

Wohl wegen seiner Experimentierfreude mit Sprache - in der Tradition etwa von Arno Schmidt, manche nennen ihn auch einen Erben des Expressionismus oder Döblins - scheute das breite Publikum Jirgl bisher. So verwendet er Ziffern statt Wörter oder Silben - schreibt etwa „1zige“ statt „einzige“, „&“ oder „u“ anstelle von „und“, setzt Bindestriche scheinbar wahllos. In seinem Roman "Die Stille" finden sich Sätze wie: "?Hättest du=Anihrerstelle? nicht weinen müssen. Denn son Hochzeit’s Tag gilt doch für 1 Frau als Der-Schönste-Tag=im-Le -"

"Er hat den Ruf als schwieriger Autor. Aber wenn man sich einmal auf die Zeichensetzung einlässt, ist sie überhaupt nicht schwer zu verstehen", meint sein langjähriger Lektor Wolfgang Matz (55) vom Münchner Carl Hanser Verlag. "Unter Kritikern und literarischen Lesern gilt er schon Jahre als einer der besten."

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