Aharon Appelfeld kann nicht aufhören

Berlin (dpa) - Aharon Appelfelds großes Thema ist das Erinnern an die Menschen, die ihm durch den Holocaust genommen wurden. Immer wieder hat er sich dieser Aufgabe gestellt, auch in seinem neuesten Buch „Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen“.

Es ist gerade im Rowohlt Verlag erschienen, übersetzt von Mirjam Pressler, wie viele vorherige Werke des Autors, der am 16. Februar 80 Jahre alt wird. Eindrucksvoll, gewohnt lakonisch und ohne jedes Pathos erzählt Appelfeld von der Geschichte eines jungen Flüchtlings, der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Palästina gelangt, sich einer Gruppe Zionisten anschließt, für seine neue Heimat kämpft, aber in seinen Träumen nie den Kontakt zu der Welt verliert, die er hinter sich lassen musste.

Die Erinnerung an seine Kindheit spielt für Appelfelds Literatur eine gar nicht zu überschätzende Rolle. Der Autor, der bis zur Ankunft in Palästina mit Vornamen Erwin hieß, ist in der Nähe von Czernowitz geboren, woher auch Paul Celan stammt. Es ist die Hauptstadt der Bukowina, die heute ukrainisch ist, damals aber zu Rumänien gehörte. Appelfelds Eltern waren gebildete, assimilierte deutschsprachige Juden. Seine Mutter wurde schon bald nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ermordet, sein Vater starb in einem der zahllosen Konzentrationslager. Ihr Sohn überlebte in verschiedenen Verstecken.

In „Elternland“ zum Beispiel hat Aharon Appelfeld davon erzählt und in „Geschichte eines Lebens“. Aber er macht solche biografischen Erlebnisse nicht nur häufig zum Inhalt seiner Bücher. Ohne sie wäre er möglicherweise nie zum Schreiben gekommen: Literatur ist für ihn eine Möglichkeit, die vergangene, verlorene Welt seiner Kindheit zu retten, seine Eltern vor dem Vergessen zu bewahren.

Auch davon erzählt „Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen“. Denn der junge Ich-Erzähler, der die Flucht aus Europa in einem Stadium bewusstloser Erschöpfung erlebt hat, setzt zwar in Palästina den Dauerschlaf nicht fort. Aber Schlafen behält eine besondere Bedeutung: Im Traum begegnet er seinen Verwandten wieder, Onkel Arthur zum Beispiel, vor allem aber seiner Mutter und seinem Vater. Träumend erinnert er sich an viele Szenen seiner Kindheit. Und seine Träume sind so wahr und wirklich wie sein neues Alltagsleben.

Etliche Details seiner Biografie hat Appelfeld schon in „Geschichte eines Lebens“ geschildert. In seinem neuen Roman klingt manches davon wieder an: Die Flucht als Teenager über Italien nach Palästina, die Ankunft mit zahllosen anderen Flüchtlingen in einem fremden Land, das Erlernen der neuen Sprache Hebräisch und die Ideologie der Zeit, nicht viel auf das Erinnern an die Vergangenheit zu geben.

Wie Aharon Appelfeld unterwirft sich der Ich-Erzähler diesen Ideen nicht: Am Schluss ringt er sich durch - und wird Schriftsteller. In Appelfelds Fall war das alles andere als selbstverständlich und ein Glück für seine Leser: „Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen“ beweist das ein weiteres Mal.

Aharon Appelfeld: Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen, Rowohlt Verlag, 284 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-87134-732-0

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