K-Pop „BTS“ – Eine koreanische Boyband als Beatles der Ditgitalzeit?

Berlin · Mit rund 34.000 Besuchern bei zwei Konzerten der koreanischen Boy-Band „BTS“ bricht ein globales Musik-Phänomen aus dem Internet in die deutsche Wirklichkeit ein. Unser Autor hat seine Teenie-Tochter begleitet – und hält fest: Drei Dinge sind grundlegend anders als früher.

Die südkoreanische Boygroup "Bangtan Boys" (kurz: BTS) auf einem roten Teppich.

Die südkoreanische Boygroup "Bangtan Boys" (kurz: BTS) auf einem roten Teppich.

Foto: dpa/Kim Hee-Chul

Als 1969 die Bilder von Woodstock um die Welt gingen, fragten sich verschreckte Bürger: Wo zum Teufel haben die sich alle unbemerkt die Haare wachsen lassen? Als nun an zwei Tagen Massen von „BTS“-Fans vor der Berliner Mercedes-Benz-Arena standen (34.000 kamen rein, gut 10.000 feierten vor der Halle), fragten sich selbst Berliner Hip-Medien: Wer zum Teufel sind „BTS“, und was zum Henker ist „K-Pop“? Willkommen im Neuland – das so neu gar nicht ist. Vor vier Jahren sind BTS schon einmal in Berlin aufgetreten, damals allerdings noch fast unbemerkt. Im vergangenen Jahr heimsten die koreanischen „Bangtan Boys“ (die Kurz-Form BTS steht für Bangtan Sonyeondan= kugelsichere Pfadfinder) bei den Grammys einen Preis ein.

„BTS“ sind eine von vielen koreanischen Boy-Bands, die ihre Fans vor allem unter jungen Mädchen über die sozialen Netzwerke und Musik-Streamingdienste finden. Weil sie fast nie im Radio gespielt werden und in deutschen Medien kaum vorkommen, ist die Überraschung nun groß. Der Musikstil mischt aus Elektrosounds, HipHop und R'n'B alles zusammen, was kommerziell internationalen Erfolg verspricht.

Wie viele europäische Boy-Bands der 90er Jahre, ist „BTS“ eine von einem Musik-Unternehmen zusammengestellte Band. Seit 2013 arbeitet Big Hit Entertainment am Erfolg der Truppe, mit der gerade die Verträge bis 2026 verlängert wurden. BTS unterscheidet sich von anderen K(orea)-Pop-Truppen dadurch, dass die sieben zwischen 1992 und 1997 geborene Mitglieder Jin, Suga, J-Hope, RM, Jimin, V und Jungkook nicht nur Modell-Qualitäten mitbringen, sondern tatsächlich am Entstehen der Songs beteiligt sind.

Chefredakteur Ulli Tückmantel hat sich auf für ihn ungewohntes Terrain begeben.

Chefredakteur Ulli Tückmantel hat sich auf für ihn ungewohntes Terrain begeben.

Foto: Ulli Tückmantel

Globalisierter Pop statt provinzieller Gangster-Rap – BTS sind so etwas wie der absolute Gegenentwurf zum halbkriminellen, rassistischen und vulgären Provinz-Geplärre im Stile von Kollegah, Farid Bang & Co. in ihrem Jogginghosen tragenden Ghetto-Chic. BTS ist Mädchen-Musik für Generation Regenbogen-Einhorn mit Texten, die Probleme von ganz normalen Jugendlichen ansprechen statt so zu tun, als strebten sie eine Bankräuber-Karriere in Bottrop an.

Um als Erwachsener zu verstehen, worin die Faszination von BTS und Songs wie „Love yourself“ (titelgebend für die aktuellen Welt-Tournee) besteht, muss man eigentlich nur wissen, was junge Mädchen cool finden, die damit aufgewachsen sind, dass Musik und Tanz und Video eine Einheit sind. Die so wichtig: Ein durchgängiges Konzert. Völlig okay: Eine Nummern-Revue wie in einer Casting-Show, unterbrochen von Video-Pausen, damit die Darsteller die Kostüme wechseln können. Und drei Dinge sind grundlegend anders als früher:

Die Funzel ist das neue Feuerzeug

Wenn’s früher im letzten Viertel eines Pop- oder Rock-Konzerts romantisch wurde, gingen schon mal die Feuerzeuge an. Das waren dann schöne Bilder eines wogenden Meers lauter kleiner Lichter. Das würde in einem K-Pop-Konzert heute erstens nicht mehr funktionieren, weil Teenie-Mädchen überwiegend nicht rauchen und kein Feuerzeug besitzen. Das neue Feuerzeug ist eine Funzel namens „Lightstick“, der vom „Merch“ (kurz für Merchandise, hieß früher mal Fan-Artikel) für 50 Euro (!) vor der Halle verkauft wird. Der Preis schreckt niemanden ab, die einzige Befürchtung in der endlos lange Schlange ist, keinen mehr abzukriegen.

Sehr alte Menschen (also ab Ü25) erinnern sich vielleicht noch an den Dialog aus „Rambo III“, wo der schlaue Afghane die amerikanische Hohlbirne fragt: „Was ist das?“ Rambo: „Blaues Licht.“ Irritierte Nachfrage des schlauen Afghane, dem auch schon aufgefallen ist, dass der blaue Lichtstab blau leuchtet: „Was macht es?“ Rambo: „Es leuchtet blau.“ Ende der Erklärung.

Dagegen ist der „Lightstick“ so etwas wie das Lichtschwert des K-Pop-Fans. Jede koreanische Band hat einen eigenen (gut fürs Geschäft). BTS nennt seine Fans „A.R.M.Y“ (also Armee) und setzt die Funzel-tragende Truppe im Konzert als gigantischen Lichteffekt ein: Die Stäbe werden von der Regie über eine App zentral angesteuert, die Fans sind begeisterte, lebende Kulisse. Der Effekt ist absolut beeindruckend, wie auf diesem Video von BTS zu sehen.

Kreischen ist das neue Klatschen

Bei BTS-Konzerten wird relativ wenig geklatscht. Das ist auch verständlich: Wenn man in der einen Hand den „Lightstick“ hält und in der anderen das Smartphone, ist Klatschen halt schwierig. Klatschen ist ein relativ angenehmes Geräusch freiwilliger Beifallsbekundung. Es kann höflich sein, anschwellen, in eine Ovation münden, abebben, sanft ausklingen oder wie ein Orkan losbrechen. Das neue Klatschen ist das Kreischen. Und gekreischt wird – in der Berliner Arena aus den Kehlen von 17.000 – ohne Eskalationsstufen, immer sofort von Null auf Tausend mindestens in der Lautstärke eines startenden Flugzeugs, aber akustisch weniger lieblich.

Auch dabei funktioniert bei BTS das Army-Konzept: Kreischt ein Mädchen los, kreischen alle anderen auch. Dazu muss auf der Bühne gar nichts passieren, es reicht ein neues Filmchen auf den Video-Wänden. Oder der Verdacht, es könnte etwas zu sehen sein. Oder einfach so. Alte Menschen mit schlechten Angewohnheiten aus dem 20. Jahrhundert haben immerhin noch die Chance, sich zwei Zigarettenfilter abzubrechen und in die Ohren zu stopfen. Allerdings: In der Disziplin Kreischen waren ja auch schon die Mütter und Omas der BTS-Fans nicht ganz schlecht, als sie sich bei den Backstreet Boys und den Beatles in Ekstase krakeelten. Nicht völlig zu Unrecht fragte sich der überraschte Deutschlandfunk, ob BTS die Beatles des Digitalzeitalters sind.

Euros ersetzen die Entbehrung

Wer früher wirklich Fan ein Band war und unbedingt auf ein Konzert wollte, ach was: musste!, nahm zahlreiche Entbehrungen auf sich. Kämpfe mit Eltern, zur Not (eigentlich das Beste überhaupt) organisatorisch aufwändiger Bruch des Verbots, komplizierte Anreise, ein komplizierter Ticket-Kauf an der Abendkasse, auf dem Schwarzmarkt oder an einer der wenigen Vorverkaufsstellen in der nächsten Großstadt, und je größer Aufwand und Entbehrung waren, desto größer war auch der Genuss. Darüber kann man lachen, aber es ist eine anthropologische Konstante.

Seit wir das Neandertal verlassen haben, gilt vom Naturvolk bis zur Hightech-Zivilisation: Zauber und Medizin sind nur wirksam, wenn sie einen Schmerz auslösen. Je größer der Schmerz (sportliche Selbstqual und entwürdigende Diäten im Westen, stumpfe Impfnadeln in Afrika, Verstümmelungs-Zauber im Urwald), desto mächtiger der Zauber. In der westlich geprägten Welt ist heute der Zauber am größten, wenn der Schmerz dem Portemonnaie zugefügt wird. „Billige“ Karten für die zwei Berliner BTS-Konzerte gab es für knapp über 100 Euro, etwas bessere für rund 240 – und um ganz vorne zu stehen, reichten die vollständigen Monatsbezüge eines Hartz-IV-Empfängers für alle Lebensbereiche nicht aus. Rund 34.000 Besucher(innen) zahlten gern; innerhalb von acht Minuten waren beide BTS-Konzerte ausverkauft. Der Schmerz rechtfertigt den Preis und verleiht ihm einen Wert.

Willkommen in der Pop-Kultur des 21. Jahrhunderts.

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