Sammlung Kicken Foto-Ausstellung „Sichtweisen“ im Düsseldorfer Kunstpalast soll neugierig machen

Düsseldorf · Der Düsseldorfer Kunstpalast hat eine stattliche Fotosammlung angekauft. Die Fotos stammen von Man Ray oder August Sander: Nur sieben Prozent sind in einer ersten Ausstellung zu sehen.

 Ihre Bilder geben einzigartige Einblicke in den Alltag der DDR: Hier fotografierte Helga Paris zwei Damen in Halle: „Ohne Titel, aus der Serie Häuser und Gesichter“, 1983-1985.

Ihre Bilder geben einzigartige Einblicke in den Alltag der DDR: Hier fotografierte Helga Paris zwei Damen in Halle: „Ohne Titel, aus der Serie Häuser und Gesichter“, 1983-1985.

Foto: Kunstpalast

Mit „Sichtweisen“ zeigt der Düsseldorfer Kunstpalast erstmals eine Auswahl der berühmten Fotosammlung Kicken, die im Hauruck-Verfahren für acht Millionen Euro von der Stadt angekauft wurde. Damit schreibt die selbsternannte Fotometropole erstmals Fotografie-Geschichte. Gelüftet wird allerdings nur ein Zipfel des Geheimnisses, denn nur sieben Prozent der mehr als 3000 Fotos sind zu sehen. Museumschef Felix Krämer will verständlicherweise nicht das ganze Pulver auf einmal verschießen.

Anfang und Ende der Schau bildet Wilhelm Henry Fox Talbot, der Mitte des 19. Jahrhunderts die Vervielfältigung fotografischer Bilder durch Papierabzüge vom Negativ ermöglichte. Seine Außenaufnahme der Bibliothek von Lincoln’s Inn Fields erscheint allerdings allzu milchig, denn sie kann die Spuren der Zeit nicht verleugnen. Das liegt an der Salzlösung, die das Abbild eines Tages verschwinden lassen wird. Der Beginn der Fotografie setzt ihr Ende voraus. Um dies aufzuhalten, erhält Düsseldorf außer der Sammlung Kicken auch noch das Bundesinstitut der Fotografie, in dem über diesen Untergang geforscht werden soll.

Kuratorin Linda Conze setzt auf die Neugierde der Betrachter. Sie wechselt zwischen Inkunabeln wie den filmischen Bewegungsstudien des Eadweard Muybridge und unbekannten Künstlern. Niemand kennt Paul Heismann mit seiner zauberhaften Lichtzeichnung. Peter Keetman, Mitbegründer der avantgardistischen Fotoform, gilt hingegen als Star. Seine Bilder erinnern an mathematische Konstruktionen, indem er im dunklen Raum eine Taschenlampe am Bindfaden kreisen ließ, während eine geöffnete Kamera auf einem rotierenden Plattenspieler die Szene aufnahm.

 Weltberühmte Fotografie: Joe Rosenthals (1911-2006) „Hissen der Flagge auf Iwo Jima“, 1945. Seine erste Kamera erwarb er im Alter von zwölf Jahren aus einem Katalog im Tausch gegen Coupons für Zigarren.

Weltberühmte Fotografie: Joe Rosenthals (1911-2006) „Hissen der Flagge auf Iwo Jima“, 1945. Seine erste Kamera erwarb er im Alter von zwölf Jahren aus einem Katalog im Tausch gegen Coupons für Zigarren.

Foto: Kunstpalast

Große Aufmerksamkeit genießen die Porträts. Otto Steinert etwa, dessen Subjektive Fotografie gern gegen die Dokumentarfotografie von Hilla und Bernd Becher ausgespielt  wird, zeigt in einer Solarisation, wie man durch das Umkehren von Hell-Dunkel-Werten einen Kopf verfremdet. Bis aufs Cover des Katalogs brachte es  Heinrich Riebesehl, ein Favorit der Galerie Kicken. Sein Junge namens Uwe  schaut uns aus dem Sommersprossen-Gesicht mit unwiderstehlichen Kinderaugen an.

Verwandlung in magische Gesichtsskulpturen

Auch Helmar Lerski überrascht mit dem jungen Bauzeichner Leo Uschatz, den er mit Licht, Schatten und Spiegeln in magische Gesichts-Skulpturen verwandelt. Dagegen wirken Kanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump bei einem Politgipfel allzu beredt.

Zwei wichtige Fotokünstlerinnen aus der ehemaligen DDR werden gezeigt. Die wiederentdeckte Helga Paris präsentiert mit ihren akkuraten Damen im Partnerlook das wenig aufmüpfige Gesicht von Frauen in der kalten Heimat. Geradezu bewundernswert ist das Porträt, das Sibylle Bergemann, die bekannteste Vertreterin der DDR-Fotografie, in „Frieda“ zeigt. Hier begegnen sich Utopie und Niedergang. Mit ihrem fragenden Blick und der kühlen Attitüde betont diese porträtierte Frau vor einer abgeblätterten Hausfassade und einem provisorisch gezogenen Leinentuch an einer Wäscheleine, dass sie den Kulturkampf in der damals zweigeteilten Stadt Berlin anno 1988 bravourös bestehen wird.

 „Fahles Portrait“ aus dem Jahr 1949 von Otto Steinert (1915-1978)

„Fahles Portrait“ aus dem Jahr 1949 von Otto Steinert (1915-1978)

Foto: Kunstpalast

Die Sammlung bietet einen guten Grundstock, doch die Schau wirkt streckenweise wie ein Potpourri, wenn Dadaisten, Surrealisten und Bauhäusler in Einzelaufnahmen Revue passieren. Wir begrüßen Man Rays schöne Modepuppe mit den Glassteinen als Tränen und Alexander Rodtschenkos Kollegen Majakowski als energischen, breitbeinigen Helden. August Sander zeigt außer braven Bauernmädchen auch Helene Abelen, dieses kecke Mannweib mit Schlips und Zigarette, die kämpferisch ihre Frauenrolle demonstriert.

Es ist an alles gedacht, auch an Bildtäuschungen der Fotojournalisten vom Kaliber eines Joe Rosenthal, der sechs US-Marines die amerikanische Flagge nach der Einnahme des strategisch bedeutenden Vulkans Suribachi auf der japanischen Insel Iwo Jima hissen lässt. Nur: Rosenthal verpasste den Termin und ließ alles nachstellen. Die Fotografie taugt nur selten als Beweismittel.

Leider versucht die Kuratorin Linda Conze eine Zuordnung der vielfältigen Aufnahmen zu relativ oberflächlichen Themen wie „Dinge“, „Ordnung“, „Alltag“ oder „Raum“, wirbelt aber die Begriffe selbst durcheinander. Sie verzichtet auf eine Struktur, eine Interpretation des Gezeigten, einen kunsthistorischen Überblick. Das ist natürlich ein taktischer Trick, denn die nächste Ausstellung kommt bestimmt. Vorab gibt es für ganz Neugierige einen Blick im digitalen Kunst- und Kulturarchiv Düsseldorf, allerdings mit Fehlstellen, die mit dem Urheberrecht zusammenhängen.

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