TV Arte und WDR: Zensur-Debatte um Antisemitismus-Doku

Arte und WDR weigern sich, eine Dokumentation über Europas Antisemitismus auszustrahlen, die sie selbst in Auftrag gegeben haben. Das riecht nach Zensur.

TV: Arte und WDR: Zensur-Debatte um Antisemitismus-Doku
Foto: Screenshot: YouTube

Köln/Straßburg. Für den Dokumentarfilm „Auserwählt und ausgegrenzt — Der Hass auf Juden in Europa“ haben die Gebührenzahler 165 000 Euro bezahlt. Soviel erhielt die Produktionsfirma des Filmautors Joachim Schröder laut FAZ für die 90-minütige Bestandsaufnahme des alltäglichen Antisemitismus, die nach monatelangen Recherchen in Deutschland, Frankreich, Israel und Gaza entstand.

Ob die Gebührenzahler den Film aber jemals zu sehen bekommen, steht in den Sternen. Denn sowohl der deutsch-französische TV-Sender Arte, in dessen Auftrag der Film hergestellt wurde, als auch der WDR, der die Herstellung betreute, weigern sich, die Dokumentation auszustrahlen.

Seit mehr als vier Wochen schwelt der Streit zwischen den Autoren des Films und den Beteiligten schon vor sich hin. Mittlerweile hat der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, den Arte-Präsidenten und SWR-Intendanten Peter Boudgoust sowie die deutschen Arte-Anteilseigner WDR und ZDF aufgefordert, den Film freizugeben, wenn Arte und der WDR ihn schon nicht ausstrahlen wollen. Er wolle sich nicht anmaßen, die Dokumentation der Autoren Joachim Schröder und Sophie Hafner journalistisch zu beurteilen, so Schuster in seinem Brief. Warum jedoch formale Gründe die Ausstrahlung verhindern sollten, erschließe sich ihm nicht.

Da ist Schuster nicht allein: Joachim Schröder ließ den Film begutachten. Der Münchner Historiker Michael Wolffsohn kommt laut FAZ zu dem Urteil: „Das ist die mit Abstand beste und klügste und historisch tiefste, zugleich leider hochaktuelle und wahre Doku zu diesem Thema.“ In der Berliner Zeitung schrieb der Historiker Götz Aly, der gerade eine Geschichte des europäischen Antisemitismus veröffentlicht hat, der Film gewinne seine Kraft „aus intensiver Recherche und wechselnden Perspektiven“.

Das gelte exemplarisch für die Szenen aus rechts- und linksradikalen Veranstaltungen in Deutschland und Frankreich, Interviews mit evangelischen Friedensaktivistinnen, Sequenzen aus der Mitte des Europäischen Parlaments, Rockkonzerten und Rap-Videos. Der Film dokumentiere auch „die korrupte, Hamas-gesteuerte ,Selbstverwaltung’ von Uno-Hilfsgeldern in Gaza“, so Aly, und: „Wer verhindert, dass der Film bei Arte oder im Programm der ARD gezeigt wird, begeht Zensur — sei es aus Wurstigkeit, Feigheit oder ,antizionistischem’ Ressentiment.“

Unter anderem beschäftigt sich der Film mit einer wenig bekannten Rede, die Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas am 23. Juni 2016 vor dem Europäischen Parlament hielt. In den Nachrichten dominierte an diesem Tag der „Brexit“ in Großbritannien. In dieser Rede behauptete Abbas nicht nur, es werde „keinen Terrorismus im Nahen Osten und nirgends mehr sonst auf der Welt“ geben, wenn nur die „israelische Besatzung“ ende. Abbas behauptete — von den EU-Parlamentariern unwidersprochen — auch: „Bestimmte Rabbis in Israel haben ihre Regierung sehr klar dazu aufgefordert, dass unser Wasser vergiftet werden sollte, um Palästinenser zu töten.“

Die uralte antisemitische Hetz-Legende vom Brunnen-vergiftenden Juden plappert in der Dokumentation die Linken-Bundestagsabgeordnete Annette Groth, Menschenrechtsbeauftragte ihrer Partei, unverdrossen nach. Der Film zeigt Rechtsextremisten, die auf Kundgebungen in Deutschland juristisch unbehelligt von einer „amerikanisch-zionistischen Weltverschwörung“ schwadronieren dürfen ebenso wie eine protestantische Friedensaktivistin, die Israel ein „Hineinsteigern in die Opferpsyche“ vorhält, während sie sich heute selbst ähnlich verhielten wie die Nazis. Der Film zeigt antisemitische Linksradikale, Israel-Boykotteure und spürt der Verwendung von EU-Geld im von der Hamas kontrollierten Gaza-Streifen nach.

Alain Le Diberder, Programmdirektor bei Arte, weist den Vorwurf zurück, sein Sender knicke vor dem Antisemitismus ein: „Seit 25 Jahren bezeugt Arte sein Engagement gegen Antisemitismus und wird dies in Zukunft weiterhin tun.“ Arte habe im April 2015 ein vom WDR angemeldetes Programm (gemeint die Dokumentation) genehmigt, „das einen Überblick über das aktuelle Erstarken des Antisemitismus in verschiedenen Ländern Europas bieten sollte, unter anderem in Norwegen, Schweden, Großbritannien, Ungarn und Griechenland. Dieses Konzept war das Ergebnis eines mehrmonatigen Austauschs mit der zuständigen WDR-Redakteurin. Ende 2016 mussten wir feststellen, dass der realisierte Film nicht dem angemeldeten Programmvorschlag entsprach: Er konzentriert sich hauptsächlich auf den Nahen Osten und behandelt die fünf genannten Länder in keiner Weise.“

Obwohl man den WDR „auf die gravierenden Abweichungen vom genehmigten Konzept“ hingewiesen habe, hätte die Kölner Arte-Redaktion den Film im April 2017 „ohne weitere Bearbeitung“ an Arte geliefert. Le Diberder: „Damit waren Grundsatz- bis hin zu Vertrauensfragen berührt. Programme müssen sich in eine editoriale Linie einfügen. Diese kann nicht vom Produzenten eigenmächtig verändert werden. Kein Rundfunksender und keine Zeitung würde eine derartige, eigenständig vorgenommene Abweichung vom vereinbarten Konzept akzeptieren.“

Der WDR, der den Film ursprünglich mit der Begründung nicht zeigen wollte, die Doku gehöre ja Arte, steuerte am Donnerstagnachmittag um: Jetzt zweifelt er an, „dass die redaktionelle Abnahme im WDR“ den üblichen „in unserem Haus geltenden Standards genügte“. Selbstverständlich habe man ein großes Interesse, „die Dokumentation zu veröffentlichen, sofern die darin getroffenen Behauptungen und Informationen belegt und journalistisch sorgfältig geprüft sind“.

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