Nass-Rasur Münster-Tatort zeigt gefährliche Rasier-Szene - Geht sowas? 10 Mythen über Nass-Rasur

Münsterf/Köln · Im aktuellen Münster-Tatort (17. März, ARD, 20.15 Uhr) gibt es nach rund 30 Minuten eine waghalsige Nassrasur-Szene. Eine gute Gelegenheit, mit zehn Mythen über die Gesichtsenthaarung aufzuräumen.

 Im Münster-Tatort „,Spieglein, Spieglein“ (Erstausstrahlung: 17. März 2019, ARD, 20.15 Uhr) gibt es  eine Szene, in der Kommissar Thiel (Axel Prahl) sich ohne Klinge den Bart mit Wasser aus dem Gesicht wäscht, während Professor Boerne (Jan Josef Liefers) die Kontur seines Barts mit einem Skalpell rasiert.

Im Münster-Tatort „,Spieglein, Spieglein“ (Erstausstrahlung: 17. März 2019, ARD, 20.15 Uhr) gibt es eine Szene, in der Kommissar Thiel (Axel Prahl) sich ohne Klinge den Bart mit Wasser aus dem Gesicht wäscht, während Professor Boerne (Jan Josef Liefers) die Kontur seines Barts mit einem Skalpell rasiert.

Foto: WDR/WDR/Thomas Kost

Es ist schon erstaunlich, dass der WDR diese Szene ohne den Warnhinweis „Liebe Kinder! Bitte nicht nachmachen!“ ausstrahlt: Im aktuellen Münster-Tatort „,Spieglein, Spieglein“ (Erstausstrahlung: 17. März 2019, ARD, 20.15 Uhr) gibt es nach rund 30 Minuten eine Sequenz, in der Kommissar Thiel (Axel Prahl) es schafft, sich ohne Klinge den Bart mit Wasser aus dem Gesicht zu waschen, während Professor Boerne (Jan Josef Liefers) die Kontur seines Klobrillen-Barts mit einem Skalpell rasiert. Während den meisten Erwachsenen eine Skalpell-Rasur als Münster-Tatort-typische Slapstick-Überdrehung vorkommen dürfte, erfreut sie sich bei jungen Frauen wachsender Beliebtheit, wie jeder bei Instagram sehen kann, wo - von Asiatinnen und Amerikanerinnen angeleitet - immer mehr junge Frauen sich das komplette Gesicht inklusive Stirn mit medizinischem Stahl rasieren lassen. Das Verfahren nennt sich „Dermaplaning“ und wird auch in Deutschland von vielen Beauty-Unternehmen angeboten. Dauert 30 Minuten und kostet ab 100 und bis zu 250 Euro.

Beim Dermaplaning werden nicht nur die Gesichtshaare depiliert (also außerhalb der Haut abgeschnitten = rasiert), sondern auch die abgestorbenen Zellen der oberen Hautschicht. Dazu wird das Gesicht mit einem Skalpell regelrecht abgeschabt. Ohne jede weitere Bewertung: Es ist keine gute Idee, das im DIY-Verfahren zu machen und sich dazu im Boerne-Stil auch noch vorher einzuseifen. Einfacher wäre, die Damen nähmen sich ein Vorbild am morgendlichen Depilations-Ritual von Männern (möglichst solchen, die es können): Erst rasieren, dann was für die Haut tun. Was eine gute Gelegenheit ist, mit 10 Rasur-Mythen aufzuräumen.

1. Ein Skalpell ist viel zu scharf für eine Gesichtsrasur!

Ein Skalpell sieht vor allem scharf aus, weil die meisten von uns es nur aus dem Fernsehen kennen. Bei seinem dortigen Einsatz fließt Blut. Immer. Skalpelle sind aber (abgesehen von echten Spitzenprodukten für die Augen-Chirurgie) in der Regel kaum schärfer als eine sehr gute Rasierklinge. Wie auch immer: Was Herr Liefers da vor dem Spiegel schauspielert, ist eher eine Selbstmord- als eine Depilations-Darstellung. Und wie er anschließend den Schaum vom Stahl entfernt; nun ja. Merken Sie sich einfach: Rasieren kann man sich zur Not mit allem, was scharf geschliffener Stahl ist, sogar mit einem Schweizer Taschenmesser. Man sollte es aber nicht.

2. Bei regelmäßigem Dermaplaning oder Rasur wird der Bartwuchs stärker!

Dass das genetische Programm des Haarwuchses sich mit äußerlicher Rasur-Mechanik beeinflussen ließe, ist so wahrscheinlich wie eine gründliche Rasur mit einem Elektrorasierer (da kann man auch gleich eine Käsereibe auf einen Vibrator montieren, was ja wenigstens einen gewissen Unterhaltungswert hätte). Es gibt keine (in Zahlen: 0, in Worten: null) Depilations-Methode, die Einfluss auf Wuchsstärke, Dicke oder Menge der Gesichtsbehaarung hätte. Einfluss auf das Tempo von Haarwuchs hat nur die Epilation, also das Herausreißen der Haarwurzel, und ALLE Epilationsmetoden verlangsamen das Haarwachstum. Was der mutmaßliche Einfluss vibrierender Käsereiben auf den Haarwuchs sein könnte, ist nicht erforscht.

3. Dermaplaning sorgt für eine bessere Haut!

Wenn Sie eine empfindliche Haut und die Neigung zu Akne haben, dann ist Dermaplaning der sicherste Weg, all Ihre Probleme zu verschlimmern. Damen (zumindest Europäerinnen), die der Meinung sind, ihren Gesichtsflaum unbedingt entfernen zu müssen, sind mit einer klassischen Nassrasur in der Regel wahrscheinlich besser dran. Einer der häufigsten Gründe, warum Männer sich NICHT nass rasieren, dürfte neben dem täglichen Aufwand das Thema „Rasurbrand“ sein, also die Beschädigung der Haut, das Auftreten von schmerzenden Pickelchen, Rötungen und ähnlichen Irritationen. Okay, hier ist, wie man sie verlässlich erzeugt: Man schreite VOR dem Duschen zur Rasur. Auf das TROCKENE Gesicht trage man einen KALTEN Dosenschaum (noch sicherer: Rasurgel!) auf. Und dann starte man das Massaker mit einem Systemrasierer der neusten Generation mit am besten fünf, ach was, fünfzehn Klingen! Wenn‘s dann immer noch nicht brennt, überprüfen Sie sicherheitshalber, ob Sie noch am Leben sind. Oder schreiten Sie zum Dermaplaning.

4. Systemrasierer sind sanfter als klassische Klingen-Rasierer!

Eines der am häufigsten von Nassrasur-Fans betrachteten YouTube-Videos ist das eines schottischen Händlers, der erklärt, wie man mit einem herkömmlichen Klingen-Rasierer die Haare aus dem Gesicht bekommt:

Das Video dauert länger als eine Viertelstunde. Es hat rund 1,5 Millionen Aufrufe. Im Kommentarbereich berichten Betrachter, so sähen es fasziniert in voller Länge an, obwohl sie sich selbst nicht einmal rasierten. Brian Mulreany ist der Held all der jungen Männer, denen ihr Vater das Rasieren nie richtig beibringen konnte. Einer will, dass dieser Mann uns in die Schlacht führt. Und was „Dr. Shave“ die meiste Bewunderung einträgt: Er rasiert sich nicht in einem, nicht in zwei, sondern in drei (!) Durchgängen. Da brennt den meisten offenbar schon beim Zuschauen das Gesicht.

Wer es genauso macht wie Brian Mulreany, wird feststellen: Da brennt nichts. Und das ist in Wahrheit auch überhaupt keine Überraschung. Moderne Systemrasierer schonen die Haut nicht, sondern haben die Wirkung von genau so vielen Rasurgängen, wie sie Klingen haben. Und das sind selbst beim 20 Jahre alten Gillette Mach3 schon drei. Weil das so ist, empfiehlt zum Beispiel Gillette seinen Kunden möglichst lange Rasierzüge durchs Gesicht und über den Hals zu machen. Wenn Sie sich mit einem fünfklingigen Fusion-Proflutsch-Irgendwas oder einem Hydro-Flip-Wasweißich so wie Brian rasieren, also dreimal in kurzen, kontrollierten Zügen, sehen sie hinterher aus wie Claude-Oliver Rudolph oder Jürgen Prochnow, nur eben in blutig. Ein Rasurgang mit diesen Monster-Mähern entspricht fünf Rasurgängen mit einem normalen Klingenrasierer - und da ändert auch kein Aloe-vera-oder-sonst-was-Streifen etwas dran.

5. Auch Kosmetik-Hersteller empfehlen System-Rasierer

Natürlich, denn System-Klingen sind ein gigantisches Geschäft. Der Streit, den sich gerade Gillette (gehört Procter & Gamble) und Wilkinson (gehört Edgewell) um das ausgelaufene Patent für die Gillette-Mach3-Systemklingen geliefert haben, hat vor allem damit zu tun, dass Gillette nach Experten-Schätzungen allein mit diesem einen System von 1998 in Deutschland jährlich noch immer rund 75 Millionen Euro umsetzt (weltweit: 650 Mio. Euro). Nivea (Beiersdorf) bietet inzwischen einen eigenen Damen-Systemrasierer an. System-Rasierer sind nicht sanfter, sondern ein rabiater Mehr-Klingen-Angriff auf die Haut - und völlig überteuert. Einfache Rechnung: Eine Mach3-Klinge bekommen Sie meist nicht unter 1,80 Euro/Stück; angeblich hält sie bei täglicher Anwendung bis zu 14 Tage = 90 Cent pro Woche. Eine gute Double-Edge-Standard-Rasierklinge (die Sie eine Woche nutzen können) bekommen Sie für zwischen 30 und 60 Cent. Damit sind Sie besser und schonender rasiert. Und Sie produzieren deutlich weniger Plastikmüll.

     Mach3-Systemklinge von Gillette. Das Patent EP 1 695 800 B1, mit dem sich der Hersteller gegen kompatible Klingen z.B. von Wilkinson schützte, ist am 18. Februar 2019 abgelaufen.

Mach3-Systemklinge von Gillette. Das Patent EP 1 695 800 B1, mit dem sich der Hersteller gegen kompatible Klingen z.B. von Wilkinson schützte, ist am 18. Februar 2019 abgelaufen.

Foto: WZ/Ulli Tückmantel

6. Die beste Rasur erreicht man mit dem Rasiermesser

Warum nicht gleich Boernes Skalpell, eine Machete oder doch die Käsereibe? Natürlich erreicht man mit einem sehr guten Rasiermesser sehr gute Ergebnisse. Mein Verdacht ist: Es mehr gibt im wirklichen Leben weitaus mehr durch falsche Behandlung und mangelnde Pflege zerstörte, verstumpfte und ausgefranste als wirklich funktionierende Rasiermesser. Hinzu kommt: Ein ordentliches Messer muss nach Gebrauch mindestens 48 Stunden ruhen, sonst richtet sich der Grat der Schneide nicht wieder auf und das Ding wird stumpf. Da kann man auch gleich einen Gurkenhobel nehmen. Selbst eine Billig-Rasierklinge ist schärfer als ein falsch behandeltes Rasiermesser. Auch für Klingen - in der Regel Hightech-Erzeugnisse mit einem Grat von 0,1 Millimeter - gilt die Regel: Nicht mehr als einmal täglich nutzen, wirklich niemals den Grat mit irgendetwas abwischen, einfach die Finger davon lassen!

7. Mit Klingen-Rasierern ist die Verletzungsgefahr höher als mit System-Rasierern

Die klassischen Klingen-Rasierer heißen im englischen Sprachraum deshalb „Safety Razor“, weil sie im Gegensatz zum Messer wirklich schlimme Verletzungen (außer bei grobem Missbrauch) gar nicht zulassen. Die meisten Schnitt-Wündchen entstehen entweder aus Trotteligkeit beim Klingenwechsel oder aus Geiz: Mikro-Schnitte im Gesicht deuten (fast) immer auf eine stumpf gewordene oder beschädigte Klinge hin, die ausgewechselt werden sollte. Und: Nicht mit dem Rasierer auf die Haut drücken! Das Eigengewicht des Rasierer reicht.

 Ein Schwergewicht unter den Rasierhobeln wie der „Futur“ von Merkur (links) bringt es auf ein Eigengewicht von 120 Gramm, ein Klassiker wie der Gillette Adjustable (rechts, Modell Slim von 1966) auf rund 80. Das Gewicht reicht völlig für eine gründliche Rasur, zusätzlicher Druck auf die Haut ist unnötig und erhöht bloß die Schnittgefahr.

Ein Schwergewicht unter den Rasierhobeln wie der „Futur“ von Merkur (links) bringt es auf ein Eigengewicht von 120 Gramm, ein Klassiker wie der Gillette Adjustable (rechts, Modell Slim von 1966) auf rund 80. Das Gewicht reicht völlig für eine gründliche Rasur, zusätzlicher Druck auf die Haut ist unnötig und erhöht bloß die Schnittgefahr.

Foto: WZ/Ulli Tückmantel

8. Frauen brauchen andere Rasierer als Männer!

Findet die Industrie gut, wenn Sie das glauben. Stichwort: „Pink Tax“. Einfach mal das Netz danach durchsuchen.

9. Achsel-, Bein- und Intimrasur gelingen nur mit dem System-Rasierer

Interessant. Gehen Sie mal zu Instagram. Suchen Sie die Hashtags #zerowaste und #rasierhobel oder #safetyrazor durch. Sie werden viele junge Frauen finden, die mit dem klassischen Rasierhobel wunderbar zurecht kommen.

10. Aber das mit der Pyramidenenergie stimmt doch, oder?

Das ist mal ein wirklich schöner Aberglaube. Der tschechische Radiotechniker Karel Drbal reichte in Prag 1949 einen Patentantrag für das Verfahren ein, Rasierklingen durch schlichte Aufbewahrung in einer Papp-Pyramide scharf zu halten. Dank der „Pyramidenenergie“, so Drbal, könne man sich mit einer einzelnen Klinge dann mehr als 100 mal rasieren. Das Patent wurde auch tatsächlich erteilt. Was der Klingenschärfe wirklich hilft (siehe auch Punkt 6) ist Ruhe nach dem Gebrauch. Nur hilft auch Ruhe mit und ohne Pyramide nicht für lange. Schärfe ist Vergänglichkeit.

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