Deutschland investiert zu wenig DIW-Chef: Schuldenschnitt für arme Kommunen notwendig

Düsseldorf · Marcel Fratzscher: Städte brauchen mehr Spielraum für Investitionen. Studie zeigt, dass Deutschland von der Substanz lebt.

DIW-Chef Marcel Fratzscher fordert einen Schuldenschnitt für arme Kommunen, damit Spielraum für Investitionen entsteht.

DIW-Chef Marcel Fratzscher fordert einen Schuldenschnitt für arme Kommunen, damit Spielraum für Investitionen entsteht.

Foto: picture alliance / Daniel Naupol/Daniel Naupold

Obwohl Deutschland Überschüsse erzielt, verfällt an vielen  Stellen die Infrastruktur. Straßen, Schienen, Schulen und Breitbandnetze sind oft in einem schlechten Zustand. „Deutschland hat seit vielen Jahren eine massive Investitionsschwäche“, sagt Marcel Fratzscher auf Anfrage dieser Zeitung. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW/Berlin) fordert, dass Staat und Unternehmen mehr investieren, „um unsere Wirtschaft auch langfristig wettbewerbsfähig zu halten und den Wirtschaftsstandort zu sichern“.

Laut Fratzscher ist das Problem der Investitionsschwäche bei den Kommunen in West- und Norddeutschland besonders ausgeprägt. Viele Städte und Gemeinden seien überschuldet und könnten ihren Aufgaben immer weniger gerecht werden. „Viele Kommunen brauchen mehr Unterstützung vom Land und vom Bund – und einen Schuldenschnitt, um wieder eigenverantwortlich handeln zu können“,  fordert der DIW-Chef. „Der Staat lebt von seiner Substanz, trotz riesiger öffentlicher Überschüsse in den  öffentlichen Kassen.“

Studie belegt, wie groß
der Nachholbedarf ist

Die Meinung, dass Bund, Länder und Gemeinden die Infrastruktur vernachlässigen, wird von anderen Ökonomen geteilt. „Die öffentlichen Investitionen wurden in der Vergangenheit auf die lange Bank geschoben, was dazu geführt hat, dass die Substanz bei Verkehrswegen und öffentlichen Gebäuden aufgezehrt und der dringende Ausbau der digitalen Infrastruktur versäumt wurde“, urteilt Martin Beznoska vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW/Köln).

Wie groß der Nachholbedarf inzwischen ist, zeigt eine Studie des Ifo-Instituts in München. Demnach stiegen die Bruttoinvestitionen des Staates in den vergangenen 20 Jahren weniger stark als die Wirtschaftsleistung. Zwischen 1996 und 2016 sank der Anteil der  investiven Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2,5 auf nur noch 2,1 Prozent. Die 35 Mitgliedsstaaten  der Industrieländerorganisation OECD wenden im Schnitt dagegen mehr als drei Prozent für Investitionen auf – darunter auch Staaten, die durchaus mit Deutschland vergleichbar sind, etwa die Länder in Skandinavien oder Österreich.

„Der deutsche Staat müsste seine Investitionstätigkeit um mindestens 40 Prozent erhöhen, um den OECD-Durchschnitt zu erreichen“, sagt Ifo-Studienleiter Niklas Potrafke. Im besonders wichtigen Bereich „Forschung und Entwicklung“ beträgt der Rückstand sogar 70 Prozent.

Das Problem wird seit vielen Jahren noch verschärft, weil auch die deutsche Privatwirtschaft eher im Ausland als hierzulande investiert. Staat und Unternehmen kommen seit 2002 relativ konstant auf eine Investitionsquote von rund 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im internationalen vergleich ist das wenig. Fast alle Länder in der EU liegen darüber.

Laut DIW-Chef Fratzscher investieren  viele Unternehmen nicht nur wegen der schlechten öffentlichen Infrastruktur  lieber im Ausland. Zudem seien Regulierung und Genehmigungsverfahren in Deutschland häufig aufwendig und teuer.

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