Nischen-Dasein: Internet-Telefonie auf dem Handy

Berlin (dpa/tmn) - Im Festnetz ist Telefonieren über das Internet längst gang und gäbe. Auf dem Handy hingegen fristet Voice over IP immer noch ein Nischen-Dasein. Warum aber ist die erwartete Umwälzung mit endlosen Gesprächen zum Nulltarif ausgeblieben?

Berlin (dpa/tmn) - Im Festnetz ist Telefonieren über das Internet längst gang und gäbe. Auf dem Handy hingegen fristet Voice over IP immer noch ein Nischen-Dasein. Warum aber ist die erwartete Umwälzung mit endlosen Gesprächen zum Nulltarif ausgeblieben?

Die Erwartungen waren groß. Mit den mobilen Internet-Flatrates werde man praktisch zum Nulltarif telefonieren können, lautete die Wunschvorstellung vor ein paar Jahren. Das Zauberwort: Voice over IP, kurz VOIP, telefonieren über Internet-Protokoll. Dabei werden die Gespräche - wie sonst alle Internet-Inhalte auch - als kleine Datenpakete verpackt, statt übers Mobilfunk-Netz zu laufen. Doch die Revolution blieb aus. Telefonieren übers Internet auf dem Handy kann man zwar. Aber die neue Möglichkeit bleibt trotz des Booms von Smartphones und Flatrates ein Nischen-Angebot.

Das liegt zum einen an den hohen Einstiegshürden. Man braucht zunächst einmal Smartphone und Datentarif, was allein schon Kosten von mehreren Dutzend Euro bedeutet. Doch damit nicht genug: Die Mobilfunk-Anbieter lassen sich die Möglichkeit zur Internet-Telefonie in ihren Netzen entweder als zusätzliche Option extra bezahlen - oder erlauben sie erst in teureren Inklusiv-Paketen.

Bei der Deutschen Telekom zum Beispiel ist VOIP erst ab dem Tarif „Complete Mobile L“ inklusive, der 49,95 Euro im Monat kostet, beziehungsweise 5 Euro weniger bei Preisaktionen. Ähnlich ist es beim Konkurrenten Vodafone, bei dem der entsprechende Tarif „SuperFlat Internet“ heißt. Nutzt der Kunde einen „kleineren“ Tarif, muss er bei beiden Anbietern Voice over IP als Zusatzoption buchen - für 9,95 Euro im Monat.

Der kleinere Rivale O2 verlangt dafür sogar mindestens 12,75 Euro mit dem zusätzlichen „Internet-Pack M+“. Dabei war ausgerechnet O2 zunächst der einzige Mobilfunk-Anbieter in Deutschland, bei dem man im Datennetz frei über das Internet telefonieren konnte. Doch schließlich entschloss sich auch die Tochter des spanischen Telefónica-Konzerns, VOIP als Zusatzoption zu vermarkten.

Laut Sprecher Markus Göbel gab es mehrere Gründe dafür, allen voran: unzufriedene Nutzer. So habe mancher Kunde mit günstigerem Tarif schnell sein Inklusiv-Datenvolumen verbraucht. „Und das wollen die Leute dann auch nicht, dass sie nur noch langsam im Netz sind, nur weil sie ein wenig länger telefoniert haben.“

Das zweite Problem ist laut Göbel, dass die aktuellen Mobilfunk-Datennetze für die Bedürfnisse der Internet-Telefonie noch nicht reif sind. So liege die sogenannte Ping-Zeit - der Zeitraum, in dem ein Datenpaket zwischen zwei Nutzern hin und her geschickt werden kann - bei 300 Millisekunden. Das ist auf den ersten Blick immer noch ziemlich schnell, sorgt jedoch in der Praxis für Pausen in den Telefonaten und den bekannten Effekt, dass beide Gesprächspartner gleichzeitig drauflosreden. „IP-Telefonie macht erst ab einer Ping-Zeit von 50 Millisekunden Spaß“, sagt Göbel.

Zum Teil nahmen aber auch die purzelnden Preise im Mobilfunk den VOIP-Träumen Wind aus den Segeln. Zuhauf gibt es Prepaid-Angebote mit Minutenpreisen um die zehn Cent, zum Teil auch Nulltarife innerhalb eines Netzes oder extrem günstige Anrufe zu bestimmten Telefonnummern. Das verleite viele Verbraucher dazu, sich beim Mobilfunk gar nicht erst mit dem Thema Internet-Telefonie zu beschäftigen, gibt Rafaela Möhl vom Preisvergleichsportal teltarif.de zu bedenken.

Hinzu komme, dass VOIP auf dem Handy immer noch ein relativ umständliches Unterfangen sei, argumentiert sie. „Man muss sich spezielle Apps herunterladen und immer darauf achten, dass die Datenflat nicht ausgeschöpft wird. Die Datennetze haben häufiger Aussetzer. Der Akku ist schneller leer“, zählt Möhl auf.

Lohnt sich Internet-Telefonie unter diesen Umständen überhaupt? „Letztlich hängt das von dem individuellen Nutzungsverhalten ab“, sagt die Expertin. Angesichts der Einstiegskosten führe kein Weg daran vorbei, die aktuellen Ausgaben mit VOIP-Angeboten gegenzurechnen. Es gibt Fälle, in denen sich auch die Ausgaben für Zusatzoptionen lohnen: „Zum Beispiel, wenn man noch für Monate in einem Tarif mit einem Minutenpreis von 29 Cent feststeckt.“

Eine andere Anwendungsmöglichkeit ist der Auslandsurlaub: „Da kann man massiv Roaming-Gebühren sparen, wenn man einen kostenlosen WLAN-Hotspot findet.“ Das Beste daran: Für Voice over IP in WLAN-Netzen braucht muss man grundsätzlich auch keine Zusatztarife buchen.

Auf lange Sicht sollte man die mobile Internet-Telefonie aber nicht abschreiben. Beim UMTS-Nachfolgestandard LTE sollen auch die Telefongespräche über Internet-Protokoll übertragen werden - eine andere Möglichkeit ist gar nicht vorgesehen. Derzeit ist das noch Zukunftsmusik: Bisher wurde bei LTE noch nicht einmal ein konkreter Standard für die Sprachübermittlung festgeschrieben, wie der O2-Sprecher betont. Insofern sei es auch noch viel zu früh, über mögliche Folgen für die Mobilfunk-Tarife nachzudenken. Die Ping-Zeiten, die dem Mobilfunk-Mann Göbel so am Herzen liegen, sind bei LTE mit 20 Millisekunden jedenfalls mehr als in Ordnung.

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