Feature: Wenn Bauzäune das Computerspiel versauen

Berlin (dpa) - „Die Sonne ist Ihr größter Feind“, sagt Game-Designer Michael Straeubig zu den Programmierern und PC-Spielentwicklern im Saal. Er redet nicht mit Vampiren oder vom klischeehaften Fremdeln der Informatikszene mit frischer Luft und blauem Himmel.

Ganz im Gegenteil: Straeubig will die Computerspieler mit sogenannten Location Based Games wieder vor die Haustür locken. Aber wer Computerspiele für draußen programmiert, der muss sich mit völlig neuen Schwierigkeiten herumschlagen. Mit Straßenverkehr, Baustellen, Akku-Laufzeit - und auch mit der Sonne. Denn die meisten modernen Location Based Games, übersetzt standortbasierte Spiele, laufen über Smartphones mit mobilem Internet. Und deren Display wird bei starker Sonneneinstrahlung schnell zum Taschenspiegel.

Beim ersten elektronischen Spiel mit Positionserkennung war das noch nicht so schlimm. Das Geocaching, eine im Jahr 2000 gestartete Schnitzeljagd mit GPS-Daten, legt mehr Wert auf Suchen und Rätseln - nicht auf schnelle Reaktionen und Interaktion mit Online-Spielern.

Heute geht es deutlich dynamischer zu: Bei der mobilen Variante des Brettspiel-Klassikers „Scotland Yard“ jagen die Spieler zum Beispiel einen realen Mister X mit Smartphones durch die Straßen. Drei bis fünf Agenten sind dem Flüchtigen auf den Fersen. Seine Position wird auf den digitalen Karten immer nur kurz eingeblendet - dann rennen die Jäger, bevor er wieder verschwindet.

Eine durchaus heikle Konstellation, denn die Spieler müssen im Eifer des Gefechts neben der Karte auch den Straßenverkehr im Auge behalten. Solche Gefahren zu minimieren, sind ganz neue Aufgaben für die Programmierer. „Sie müssen testen, testen, testen“, mahnt Game-Designer Straeubig deswegen. „Und zwar draußen, vor der Tür.“

Bei „Mister X mobile“ wollen die Entwickler das Problem mit einem Alarm ausschalten: Damit die Spieler nicht durchgehend auf das Handy starren, vibriert es, bevor Mister X wieder auf der Karte erscheint. Ohne zusätzliche Vorsicht der Spieler im Straßenverkehr geht es trotzdem nicht. „Wir müssen davon ausgehen, dass die Leute darauf achten“, sagt Holger Mügge vom vertreibenden Unternehmen Qeevee.

Technisch wären weitere Maßnahmen denkbar. Damit zum Beispiel niemand auf die Idee kommt, Verfolgungsjagden auf dem Fahrrad zu starten, könnte das Programm abschalten, wenn die Spieler zu schnell unterwegs sind. Wie aber soll die Software unterscheiden, ob Mister X und seine Jäger - wie im Brettspiel - nicht nur Bus und Bahn fahren?

Die Verbindung von digitaler Welt und freier Wildbahn eröffnet eine ganze Reihe neuer Spielmöglichkeiten. Aber sie bringt auch neue Herausforderungen für die Entwickler jenseits des klassischen Programmcodes. „Wir haben es jetzt auch noch mit der realen Welt zu tun“, sagt Michael Straeubig. „Und die ist sehr komplex.“

Und sie verändert sich manchmal viel zu schnell. Darauf müssen Entwickler von Detektiv-Geschichten wie denen um „Inspektor Tripton“ achten. In der Rolle des Ermittlers suchen die Spieler quer durch ihre Stadt einen Mörder, müssen an realen Orten virtuelle Verdächtige verhören, bekommen Hinweise von animierten Zeugen und müssen Rätsel lösen. Da wird schon eine Baustelle zum unüberwindbaren Hindernis.

„Das entscheidende Lösungswort darf natürlich nicht links unten auf der Gedenktafel stehen, die mit einmal hinter einem Bauzaun versteckt ist“, erklärt Anne-Katrin Ulrich von der Firma Sprylab, die die Plattform Tripventure für Location Based Games entwickelt. Neben den Abenteuern von „Inspektor Tripton“ können darüber ab Ende Mai auch andere Geschichten in bestimmten Städten gespielt werden.

Neben solchen Baustelle-Fallen, die ein ganzes Spiel versauen können, müssen die Programmierer auch überlegen, wie weit sie ihre Spieler durch die Gegend scheuchen. Wer mehrere Kilometer zwischen zwei Punkten ablaufen muss, der wird eher abgelenkt - und landet am Ende vielleicht im Kaufhaus, statt den Mörder zu fassen.

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