Testfahrten: Im Winterreich der Erlkönige

In Nordschweden erhalten neue Modelle ihren letzten Schliff.

Düsseldorf. Die Uhren gehen anders in Arjeplog: Während sich überall sonst in Nordschweden spätestens im Herbst eine gespenstische Ruhe über die Landschaft legt, wacht das verlassene Nest nahe des Polarkreises dann erst richtig auf.

Mehrmals pro Woche landen im Nachbarort Flieger aus aller Welt und die Straßen füllen sich mit Leben. Jedes Jahr von Oktober bis April wird Arjeplog zur Welthauptstadt der Autotester, die hier ihren "Erlkönigen" den letzten Schliff geben.

Meist noch bis zur Unkenntlichkeit mit schwarzen Folien oder Kunststoffplanken getarnt, drehen die geheimen Prototypen in der nordischen Abgeschiedenheit ihre Testrunden, lange bevor sie auf einer Messe präsentiert werden. "Dafür sind die Bedingungen hier oben einfach ideal", erläutert Wilhelm Cordes, der das BMW Testcenter in Arjeplog leitet.

Die Temperaturen sind knackig kalt, die Seen tief gefroren und die Straßen von unterschiedlicher Qualität mit jeder nur denkbaren Kombination von Eis und Schnee und wechselnden Reibwerten. Die Fahrten in Eis und Schnee dienen laut Mercedes-Entwickler Stefan Hache vor allem der Abstimmung von Regelsystemen wie dem ESP oder den Allradantrieben. Hache war im vergangenen Winter mit dem CL 500 4 Matic in Arjeplog unterwegs.

Die meisten Tests hat er auf verschiedenen Handling-Parcours absolviert, die Spezialisten auf den zugefrorenen Seen rund um den Ort angelegt haben. Außerdem betreibt Mercedes wie viele andere Hersteller ein eigenes Prüfcenter mit teilweise beheizten Steigungsstrecken, gekühlten Garagen, Aquaplaningflächen, Prüfständen und Werkstätten.

"Diese Arbeit unter jederzeit reproduzierbaren Laborbedingungen hilft uns bei der Programmierung unserer Fahrdynamiksysteme", sagt BMW-Testfahrer Christian Thalmeier, während sein noch stark getarnter 7er durch den Schnee wirbelt. "Doch mindestens genau so wichtig ist für uns der normale Fahrbetrieb draußen auf der Landstraße."

Tag für Tag geht sein 7er deshalb "raus auf Strecke" und fährt immer wieder die gleichen Runden. Je näher die Produktionsfreigabe rückt, desto alltäglicher werden die Aufgaben. "Dann sind wir wie kritische Kunden der ersten Stunde, die ein neues Auto ganz genau unter die Lupe nehmen", sagt sein Kollege Oliver Jung. Raum für Änderungen bleibt oft bis zum Schluss.

Natürlich wird kein Hersteller ein paar Wochen vor der Premiere zum Beispiel neue Sitze bestellen. "Doch die Software können wir auch kurzfristig modifizieren", sagt Hache. Jedes Testcenter hat deshalb eine Direktleitung in die Entwicklung. Und kleine Eingriffe machen die Ingenieure mit dem Laptop am Straßenrand.

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