Neue Technik gegen den Crash nach dem Crash

Stuttgart/München (dpa/tmn) - Rumms! Die Limousine kracht in die Leitplanke. Der Wagen schleudert - und schon knallt es erneut. Weil viele Crashs eine ganze Folge von Kollisionen sind, arbeitet die Industrie an neuen Systemen gegen die gefährliche Kettenreaktion.

Das Beispiel ist konstruiert, doch keineswegs aus der Luft gegriffen. Denn viele Unfälle sind eine ganze Folge von Karambolagen: „Bei fast jedem dritten Pkw-Unfall mit Personenschaden in Deutschland kommt es nach einem ersten Aufprall zu weiteren Kollisionen des Unfallfahrzeugs“, zitiert Stephan Kraus vom Stuttgarter Zulieferer Bosch aus der Unfallstatistik. Als Ursache dafür macht er die Schrecksekunde des ersten Aufpralls aus: Dann verliere der Fahrer oft völlig die Kontrolle über seinen Wagen. Um den Crash nach dem Crash zu verhindern, arbeiten die Ingenieure derzeit an Lösungen.

„Secondary Collision Mitigation“ (SCM) heißt die Technologie, die die Stabilisierung des Wagens in allen Lagen zum Ziel hat. Dafür nutzen die Bosch-Entwickler die im Fahrzeug bereits vorhandenen Assistenz- und Sicherheitssysteme. Erkennen deren Sensoren einen ersten Unfall, löst die SCM-Technologie automatisch ein Abbremsen aus. Folgekollisionen werden so ganz verhindert oder zumindest deutlich gemildert, so das Bosch-Versprechen. Kraus geht davon aus, dass die Technologie „bei rund der Hälfte„ der betreffenden Unfälle helfen kann. Nur wann und in welchem Auto SCM eingeführt wird, verrät Kraus noch nicht.

Bei der Vernetzung der Systeme tauschen Airbag und das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) ihre Daten aus. „Bei einem Unfall errechnet das Airbag-Steuergerät Stärke und Richtung des Aufpralls und leitet die Informationen ab einer bestimmten Kollisionsschwere an das ESP weiter, das den Wagen dann automatisch abbremst“, erklärt der Bosch-Sprecher. Entmündigt werde der Fahrer dadurch aber nicht: „Er kann das System jederzeit übersteuern“, versichert Kraus. „Der Unfall nach dem Unfall ist bei den Entwicklern derzeit tatsächlich ein Thema“, bestätigt BMW-Sprecher Friedbert Holz. Auch die Entwickler in München prüfen deshalb solche SCM-Systeme, mit denen das unkontrollierte Weiterfahren eines Autos verhindert werden soll. Bei BMW wird die Entwicklung auch danach ausgerichtet, wie leicht der Fahrer wieder Kontrolle über den Wagen bekommen kann. Oder danach, welche Risiken dadurch für den Folgeverkehr entstehen.

„Mit Technik allein ist es nicht getan“, sagt Holz, „hier ist eindeutig der geschulte und aufmerksame Fahrer gefragt.“ Um Folgecrashs zu vermeiden, sei in Unfallsituationen feinfühliges Gegenlenken gefragt, das nicht jeder beherrsche. Die richtigen Fahrkünste könnten in speziellen Kursen einstudiert werden. Und Schulungsbedarf gibt es offenbar: „Wir wissen aus unserem Fahrertraining, dass viele zwar noch den sogenannten Erstschlag parieren können, mit dem sogenannten Gegenschlag aber meist total überfordert sind“, sagt der BMW-Sprecher.

Es sind aber nicht nur Assistenzsysteme und geschulte Reflexe, die gegen den Crash nach dem Crash helfen sollen. In Zukunft werden Fahrzeuge auch miteinander kommunizieren können, um Unheil zu verhindern. Bei der „Car-to-Car-Kommunikation“ vernetzen sich einzelne Autos spontan und tauschen wichtige Informationen aus. Bei Unfällen „alarmiert der automatische Notruf nicht nur die Retter. Sondern die Bordelektronik sendet gleichzeitig ein Signal aus, das alle anderen Fahrzeuge in der unmittelbaren Umgebung vor der Gefahrenstelle warnt“, erläutert Munsch.

Bis die Car-to-Car-Kommunikation Standard wird, setzen die Hersteller auf eine weitaus einfachere Lösung: Um den nachfolgenden Verkehr zu warnen, rüsten immer mehr Hersteller ihre Fahrzeuge serienmäßig mit intelligenten Warnblinkern aus. Sie schalten sich immer dann automatisch ein, wenn der Fahrer besonders heftig auf die Bremse tritt.

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