Fahrspaß auf zwei Rädern - auch mit Behinderung

Krefeld/Köln (dpa/tmn) - Ein paar zusätzliche Schalter, ein Gurt und Stützräder. Der Umbau eines Motorrads für körperlich behinderte Fahrer ist Handarbeit, gelingt spezialisierten Werkstätten aber meist gut.

Der Pannonia-Ring nahe der ungarischen Stadt Sárvár ist seine Lieblingsrennstrecke. Dort jagt Robert Friedrich auf seinem Yamaha-Superbike am häufigsten neuen persönlichen Bestzeiten hinterher. Vorausgesetzt, das Wochenende ist nicht schon für Motocross verplant oder für einen entspannten Kurztrip durch die Alpen. Sooft es geht, sitzt der 32-Jährige aus Rosenheim auf einem seiner vier Motorräder - ansonsten sitzt er im Rollstuhl. Denn seit Oktober 2002 ist er querschnittsgelähmt.

Friedrich hatte sich damals bei einem Motorradunfall den Rücken gebrochen. Das Körpergefühl ab dem Bauchnabel abwärts ist seitdem weg, die Leidenschaft fürs Motorradfahren blieb. „Davon werde ich wohl nie genug bekommen“, sagt er. „Zwei Jahre nach dem Unfall habe ich weitergemacht.“

Seine Maschinen schneiderte ihm Wilhelm Költgen auf den Leib. Der 54-jährige Zweiradmechaniker-Meister aus Krefeld ist einer der wenigen und nach eigenen Angaben führender Anbieter in Deutschland für behindertengerechte Motorrad-Umbauten. Pro Jahr passen er und seine vier Mitarbeiter rund 500 Maschinen aller Art technisch an die individuellen Bedürfnisse körperlich eingeschränkter Kunden aus der ganzen Welt an - auf Wunsch auch Trikes und Quads. Weil dem passionierten Motorradfahrer selbst von Geburt an die rechte Hand fehlt, hat er 1991 mit seiner Firma aus der Not eine Tugend gemacht.

„Mancher Mensch mit Handicap träumt vom Motorradfahren, denkt aber, dass er das wegen seiner Behinderung nicht kann“, sagt Költgen. Contergan-Geschädigte, Amputierte, Querschnittsgelähmte - darunter sehr viele Biker, die nach einem schweren Unfall weiterfahren wollen. Die meisten von ihnen täuschen sich, betont Költgen: „Für fast alle gibt es eine Lösung, da geht eine ganze Menge.“ Sofern sie fahrtauglich sind.

„Wer etwa nach einem Unfall dauerhaft beeinträchtigt ist, muss seine Fahrtauglichkeit erneut unter Beweis stellen“, erklärt Michael Lenzen, Vorsitzender des Bundesverbands der Motorradfahrer (BVDM). In welchen Fahrschulen das möglich ist und was es darüber hinaus noch zu bedenken gibt, können Betroffene beim BVDM in Erfahrung bringen. „Jede Behinderung ist anders, deshalb sind die Anforderungen von Fall zu Fall unterschiedlich. Aber da stehen wir jedem gerne individuell mit Rat und Tat zur Seite“, so Lenzen.

Der Verband stellt auf Wunsch auch den Kontakt zu Umrüstern her. „Da gibt es hierzulande höchstens eine Handvoll, die meisten sind Gespannbauer“, erklärt Lenzen. Neben der Firma Költgen bauen zum Beispiel das Unternehmen Stern Gespannservice in Straubing oder der auf die Honda Goldwing spezialisierte Biker's Point Fuchs in Uslar Motorräder behindertengerecht um.

Die körperlichen Voraussetzungen sind erstaunlich gering, damit sich der Traum vom Motorradfahren trotz Handicap verwirklichen lässt: „Ein einigermaßen stabiler Oberkörper, mindestens eine Hand und möglichst noch ein Oberschenkelstumpf, um auf der Sitzbank seitlich genügend Halt zu haben“, zählt Wilhelm Költgen auf. Der Kunde sagt, welches Motorradmodell ihm vorschwebt. „Dann überlegen wir gemeinsam, ob und wie sich die Wunsch-Maschine umrüsten lässt, oder ob sich womöglich ein anderes Modell besser eignet.“ In 20 Jahren hat der Umrüster „vielleicht zehn Leute wieder nach Hause geschickt, weil ich ihnen nicht helfen konnte oder wollte“.

Motorräder für Einarmige oder Einbeinige umzurüsten, ist laut Költgen vergleichsweise einfach: Alle benötigten Knöpfe und Schalter wie die für Blinker, Licht und Hupe werden auf einer Lenkerseite gruppiert. Eine integrale Handbremse, die die Bremskraft auf beide Räder verteilt, ersetzt bei Bedarf die Fußbremse. Und wer keinen Fuß zum Schalten hat, bekommt einen Schaltautomaten mit Gangwahltasten in Daumennähe.

Fehlgebildete Arme? Kein Problem: Da werden die Lenkergriffe mit passend geformten Zusatzrohren eben näher an den Fahrer herangerückt. Keine Beine oder ein gelähmter Unterkörper? Dann verhindern elektropneumatische Stützräder am Fahrzeugheck den Sturz beim Ampelstopp: Auf Knopfdruck klappen sie innerhalb einer Sekunde herunter und genauso schnell wieder rauf, sobald die Reise weiter geht. Und das ist längst nicht alles technisch Denk- und Machbare.

Für Robert Friedrich hat Költgen bereits zwei Yamaha YZF-R1 - eine für die Rennstrecke, eine für die Straße -, sowie ein Supermoto-Bike von KTM und eine Motocross-Maschine derselben Marke umgebaut. Friedrich zieht sich mit den Armen aus dem Rollstuhl auf die Motorräder, hakt die Füße an den Rasten ein - und ab geht die Post. „Beim Motocross und auf der Supermoto verhindert ein Gurt unterhalb der Hüften, dass ich bei Sprüngen über den Lenker fliege“, erklärt er. Nur wenn Friedrich mal wegrutscht, benötigt er Hilfe, denn aus eigener Kraft kann er sich mit der Maschine nicht wieder aufrichten.

Fahrzeugumbauten wie die für den Rosenheimer stellen für Költgen und Team keine großen Herausforderungen mehr dar. Kniffliger seien Fälle wie dieser: „Ein Kunde mit steifem Knie hatte sich auf eine BMW mit Boxermotor eingeschossen“, berichtet der Unternehmer. Die Firma konstruierte über einem der beiden seitlich abstehenden Zylinder eine hitzeabweisende Ablage für das gestreckte Bein - auch das segnete der TÜV ab. „Bei solch gewöhnlichen Umbauten besprechen wir uns vorher mit den Prüforganisationen, damit es nach getaner Arbeit kein böses Erwachen gibt.“ Je nach Aufwand werden für den behindertengerechten Umbau eines Motorrads zwischen 1500 und 12 500 Euro fällig, dazu kommen die Kosten für das gebrauchte oder neue Basisfahrzeug.

Dass behinderte Biker wegen ihrer körperlichen Defizite womöglich unsicherer fahren als die anderen, weist Költgen entschieden zurück. „Im Gegenteil: Die sind meist viel vorsichtiger und lassen es langsamer angehen - vor allem, wenn ein Motorradunfall sie in ihre Lage gebracht hat.“ Dann überlegt er kurz und stellt fest: „In unserer Firmengeschichte haben wir keinen Kunden zu beklagen: Wenn einer von ihnen tödlich verunglückt wäre, hätte ich das ganz sicher erfahren.“

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