1943: Das alte Wuppertal stirbt im Feuersturm

Ende Mai und Ende Juni 1943 wurden Barmen und Elberfeld in weiten Teilen zerstört. Die Folgen sind bis heute zu spüren.

Wuppertal. Krieg? Bei diesem Wort — versehen mit einem Fragezeichen — war die eigene Oma vor allem eines: schweigsam. Und das blieb sehr, sehr lange so. Eines Tages allerdings änderte sich das, denn das Fragezeichen stand immer noch im Raum. Krieg? Dazu zählten jene Nächte, in denen es in Wuppertal nicht dunkel werden wollte — von Weitem zu sehen, im Hattinger Hügelland.

Den gespenstischen Widerschein am Himmel habe sie niemals wieder vergessen. In jenen Nächten, als in Barmen und Elberfeld die Bomben fielen und die Bauern nur wenige Kilometer entfernt sprachlos auf Wiesen und Feldern standen, um mit anzusehen, wie die Nacht zum Tag wurde. „Wuppertal hat lange gebrannt“, war aus der Erinnerung zu hören, und die Oma sprach mit schwerer Stimme. „Selbst die Straßen. Die Menschen kamen aus ihren brennenden Häusern und blieben im Asphalt stecken.“ Mehr gab es dazu nicht.

Heute, viele Jahre später, sind die meisten Fragezeichen Geschichte: In den Nächten, von denen damals die Rede war, fielen in Wuppertal die Bomben. Sie gingen als Barmer Angriff am 30. Mai und als Elberfelder Angriff am 25. Juni 1943 in die Geschichte ein — und ziehen sich bis heute wie ein roter Faden durch die Erinnerungen der Zeitzeugen.

„Niemals zuvor in der Wuppertaler Geschichte hatte es einen derart abrupten Bruch in der Kontinuität, eine derart fundamentale Katastrophe gegeben.“ So bringt es der 2. Vorsitzende des Bergischen Geschichtsvereins — Hans Joachim de Bruyn-Ouboter — in seinem Buch zur Barmer Stadtgeschichte auf den Punkt: „In zwei furchtbaren Nächten wurden neben anderen Quartieren vor allem die Innenstädte von Barmen, Elberfeld und Ronsdorf sowie in Cronenberg das Rathaus und etliche Häuser zerstört.“

Dem Inferno folgten Zahlen: Nach vorsichtiger Schätzung kamen beim Bombenangriff der Alliierten in Barmen Ende Mai 1943 mindestens 3500 Menschen ums Leben. Beim Elberfelder Angriff Ende Juni starben wenige Wochen später etwa 2000 Menschen — auch hier viele bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Hinzu kamen unzählige Verletzte und eine traumatisierte Kriegsgeneration, die von diesen Nächten an in einer Stadt lebte, die innerhalb von Stunden ihr Gesicht verloren hatte — als Konsequenz der NS-Herrschaft und des von ihr entfachten Zweiten Weltkriegs.

Bereits im März 1943 hatte die britische Luftwaffe damit begonnen, strategisch bedeutende Ziele im Ruhrgebiet anzugreifen, um einerseits die deutsche Rüstungsindustrie zu treffen und andererseits die Bevölkerung zu demoralisieren. Wuppertal rückte parallel zur „Battle of the Ruhr“ als Standort wichtiger Zulieferbetriebe in den Fokus: Die Bayer-Werke zählten ebenso dazu wie die Varresbecker Kugellagerfabrik Jäger, während bei der Firma Espenlaub in Langerfeld Flugzeuge repariert wurden. Um die deutsche Kriegslogistik zu treffen, wurden Barmen und Elberfeld in die Angriffsplanung einbezogen.

Bis Ende Mai 1943 war es in der Stadt bei einzelnen Bombardierungen geblieben, und nach wie vor glaubte in Wuppertal niemand so recht daran, dass sich das ändern würde: Das schlechte Wetter mit Regen, Dunst und Nebel mache einen großen Luftangriff unmöglich, hieß es. Ohnehin sei Wuppertal selbst in den Wirren des Zweiten Weltkriegs letzten Endes eine fromme und damit schützenswerte Stadt — wie auch der Historiker Jörg Friedrich in seinem Standardwerk über „Deutschland im Bombenkrieg“ dokumentiert.

„Der Brand“ beginnt nicht ohne Grund mit dem Barmer Angriff: „Keine Industriestadt in Deutschland“, zitiert Friedrich die britische Zeitung „Times“ im Nachgang des Bombardements, „ist zuvor so vollständig von der Landkarte wegradiert worden.“ Es sollte Wochen in Anspruch nehmen, die Toten aus den Ruinen zu bergen, und 80 Prozent der Wohnfläche in Barmen waren nach dem Einsatz der Brandbomben zerstört.

Nachdem sich am Abend des 29. Mai 719 Flugzeuge von England aus auf den Weg nach Wuppertal gemacht hatten, gab es am Ziel erst kurz nach Mitternacht Fliegeralarm. Die ersten leuchtenden Zielmarkierungen am Himmel, auch als „Christbäume“ bezeichnet, waren von Weitem zu sehen, und gegen 0.50 Uhr fielen die ersten Spreng- und Brandbomben auf Barmen.

Was erst später bekannt wurde: Dass diese erste Angriffswelle auch Ronsdorf traf, war in dieser Form nicht geplant: Ursprünglich sollte von Vohwinkel aus auch Elberfeld getroffen werden. Angesichts der deutschen Flugabwehr steuerten die Bomber das Wuppertaler Stadtgebiet allerdings aus südwestlicher Richtung an und trafen neben Ronsdorf unter anderem auch den Barmer Wald und das Viertel in der Nachbarschaft des Toelleturms.

Nach Angaben des britischen „Bomber Command“ trafen 475 der 719 Maschinen beim Barmer Angriff ihr Ziel. 33 Bomber wurden abgeschossen. 3900 Häuser wurden zerbombt, 1800 stark beschädigt. Und das sollte nicht das letzte Flächenbombardement in Wuppertal bleiben.

In der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1943 starteten 630 Flugzeuge zum Elberfelder Angriff, der um ein Uhr früh seinen Lauf nahm und auch in Cronenberg für Zerstörungen sorgte. In jener Nacht brannten der Überlieferung nach etwa zwölf Quadratkilometer Stadtgebiet, und die Zahl der zerstörten oder beschädigten Gebäude summierte sich auf mehr als 5000. Alleine in dieser Nacht fielen mehr als 2300 Tonnen Spreng- und Brandbomben auf Wuppertal.

Das alles ließ sich in den verhängnisvollen Nächten nur erahnen — aus der Ferne, als es in Barmen und Elberfeld stundenlang nicht dunkel wurde.

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