Von einem Wandern zwischen den Welten

Uta Atzpodien sieht Hoffnung als Investition an.

  Dramaturgin Uta Atzpodien vom Freien Netzwerk Kultur.

Dramaturgin Uta Atzpodien vom Freien Netzwerk Kultur.

Foto: Ralf Silberkuhl

Seine Stimme und seine Präsenz klingen nach. Am letzten Freitag reiste der irakische Autor Usama Al Shahmani aus der Schweiz an. Er war Gast bei „Literatur auf der Insel“ im Café Ada. Hier hat sich über die Jahre ein legendärer Abend entwickelt, eine Reihe, in der Literatur zum Begegnen einlädt, zum Teilen von Geschichten und Erfahrungen. Berührende Momente entstehen. Als Torsten Krug, Regisseur, Autor und Sänger, sich das Format vor fünf Jahren ausdachte, wurde die Musikerin Katrina Schulz zur Mit-Gastgeberin im Gespräch mit renommierten literarischen Gästen. Das (Mit-)Teilen prägt bis heute den Puls des Abends. Letztes Jahr durfte ich neben Torsten Krug die Staffel als Co-Gastgeberin übernehmen. Schon meine ersten Insel-Gäste, die Autorinnen Nino Haratischwili und Susan Kreller, vermittelten, wie aus dem Erinnern kraftvolle literarische und menschliche Impulse entstehen.

Das „Wandern zwischen den Welten“ begleitet mich seit vielen Jahren. Ganz konkret bekam ich es zu spüren, als ich Mitte letzter Woche aus meiner zweiten Heimat Brasilien wieder ins Tal zurückkehrte. Seit zehn Jahren war ich erstmals wieder auf weiter Flugreise unterwegs. In der vermeintlichen Fremde, in Lateinamerika, habe ich schon vor Jahrzehnten trotz herausfordernden politischen Konstellationen viel menschlich erfrischende Verbundenheit entdeckt. Dieses Wandern zwischen den Welten prägt nicht nur mein Leben, seit der Wiege das unserer halbbrasilianischen Söhne, sondern auch das Leben zunehmend vieler Menschen auf dieser Welt. Das Wandern ist zum Sinnbild unserer Gesellschaft im 21. Jahrhundert geworden. Wie gehen wir damit um? Was heißt es, traumatische Erlebnisse zu verdauen? Was bedeutet die Fremde? Wann entsteht ein Gefühl von Heimat und Vertrauen?

„Wer Honig gewinnen will, muss mit Bienenstichen rechnen“, zitiert Usama Al Shahmani ein arabisches Sprichwort, als er kraftvoll und mit Inbrunst im sehr gut besuchten Café Ada aus seinem Buch „In der Fremde sprechen die Bäume arabisch“ las. Hochpoetisch teilte er mit uns: Geduld ist überlebensnotwendig. Der Weg ist nicht einfach und voller alltäglicher Herausforderungen, sei es konkret im Asylantenheim, bei der Arbeitssuche, dem Erlernen der Sprache, dem Umgang mit der eigenen von Krieg und Gewalt erschütterten Biographie und den tagtäglichen Momenten, die niederschmettern wie auch ermuntern können. Von seiner Großmutter habe er die „absolute Hoffnung“ geerbt. Als Analphabetin hat sie ihm mit ihrer Persönlichkeit über das Erzählen von Geschichten, über Weisheiten und mit menschlicher Wärme und Tiefgang viel vermittelt und gegeben.

Das erreicht auch uns! Genau hier setzt der unschätzbare Wert von Literatur an, die genau solche Erlebnisse und Erfahrungen mit uns zu teilen vermag. Die Sprache Al Shahmanis entwickelt ihre poetische Kraft im Deutschen tief verwurzelt in der arabischen Kultur. Für mich sind Mysterium und Offenbarung zugleich: Die Zahl Sieben, Baumweisheiten und konkrete Erlebnisse in der Natur. Usama Al Shahmani spricht mit den Bäumen auf Arabisch. Der Wald wird für ihn zu einem Labor, sich selbst zuzuhören. Auch aus diesem (Mit-)Teilen können Kraft, Zuversicht und Hoffnung entstehen. Es ist Zeit, dies als Arbeit anerkennen: „Hoffnung aber kostet, denn es ist eine anstrengende Arbeit. Man muss bereit sein, diese Investition zu leisten.“

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