Freies Netzwerk Kultur Wo ist eigentlich vorne? Denkt das Unmögliche!

Museum – das ist doch dieses Gemurmel in den heiligen weißen Hallen, das ist jemand, der „Pschscht!“ macht, Kunst, die stört oder müde macht, und dann doch berührt, wenn man mit einer Freundin leise darüber spricht.

 Künstlerin Birgit Pardun plädiert fürs Spinnen.

Künstlerin Birgit Pardun plädiert fürs Spinnen.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Ich wurde neulich gefragt, ob ich eine Kolumne schreiben möchte. Ich, als eine aus der freien Künstler-Szene Wuppertals. Schreiben – darauf wäre ich selbst nicht gekommen. Es fängt schon damit an, dass ich (rein motorisch) nicht gut schreiben kann. Mit circa sechs Fingern treffe ich selten die richtigen Tasten und es entstehen immer wieder bizarre Wortgebilde, in denen Buchstaben vertauscht sind oder gar komplett fehlen. Interessant dabei ist, wie leicht es dennoch fällt, dieses Buchstaben-Allerlei zu entschlüsseln – mein Gehirn zumindest kann damit überraschend gut umgehen. Die Texterkennung meines Smartphones hingegen schlägt zum Beispiel nach zwei eingegebenen Buchstaben Wörter vor, die ich niemals benutzen würde, und konstruiert dann daraus auch noch völlig sinnfreie Sätze. KI, sag’ ich da nur. Die hat gar keine Ahnung, und die kennt mich auch gar nicht!

KI ist hoch angesagt, rasant auf dem Vormarsch, gerade in pandemischen Zeiten. Alles voll durchdigitalisiert. Streaming ist das neue Alles. Konzertbesuch, Museumsführung. Genau! Digitaler Rundgang, dass ich nicht lache, wie albern ich das finde, wenn ich mit der Maus durch ein virtuelles Museum rutsche. Brauchen wir einen simulierten Showroom und dazu irgendeinen coolen, aber nichtssagenden, jazzy Groove? Ich fühle mich veräppelt. Museum – das ist doch dieses Gemurmel in den heiligen weißen Hallen, das ist jemand, der „Pschscht!“ macht, Kunst, die stört oder müde macht, und dann doch berührt, wenn man mit einer Freundin leise darüber spricht. Alleine lange auf einer Kunstledercouch vor einem Bild hocken und dabei von dem Wärter beäugt werden. Das ist die Vernissage in einer hippen Galerie. Mit Weinglas im plapperigen Gedränge. Angesäuselt mit welchen reden, die mich beeindrucken oder erschrecken, die aber alle auch Bilder und Kunst lieben. Die Pausen im Theater oder in Konzerten. Ich mag sie nicht. Das Gewusel duftender Menschen, Schlange vor den Damentoiletten, verstohlene Blicke in die Spiegelwand, wegen der Frisur. Plaudern, bis endlich das Stück weitergeht. Ich würde ja lieber immer alles auf einmal hören und sehen, ich mag nicht unterbrochen werden, wenn eine Musik, eine Geschichte, eine Bewegung mich mitreißt – aber naja, die meisten mögen‘s und meine Blase schafft‘s eh nicht so lange.

Ich habe mich gut arrangiert, merke fast gar nicht mehr, dass mir irgendetwas fehlt. Oder will es nicht merken, damit es nicht weh tut. Ich vermute, alle vermissen Sektgespräche und Pausenplappereien, die Vorstellungen von Kunst und Theater – letztere machen mich satt und hungrig zugleich. Ich fühle mich immer „befüllt“ und beschenkt, selbst wenn ich etwas nicht mag oder verstehe, und bekomme sogleich unbändigen Appetit auf mehr und am allerliebsten will ich immer sofort selber machen. In meiner Fantasie mache ich dann Musik, male, spiele eine dramatische Rolle. Ich kann mehr als „Heidemarie“ sein! Naja ... spinnen eben.

Das halte ich übrigens für elementar wichtig, das Spinnen, das sollten wir uns viel mehr erlauben. Gerade jetzt. Wir müssen uns neu erfinden, wir müssen nach vorn. Vorne ist für alle vermutlich leider woanders, da müssen wir aufpassen, wenn wir so durcheinander stolpern, dass wir uns nicht zu sehr anrempeln bis tottreten. Aber wenn wir ein bisschen achtgeben, schaffen wir vielleicht ein paar Schritte. Dann wären wir zwar die ersten, die etwas gelernt hätten in der Menschheitsgeschichte, aber wer weiß… Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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