Neviges Der Wallfahrtsort im Bombenhagel

Velbert · Jürgen Lohbeck hat sich in seinem neuen Buch mit „Velbert, Langenberg und Neviges im Luftkrieg 1939 – 1945“ befasst.

Herausgeberin Jutta Scheidsteger und Autor Jürgen Lohbeck stellen das Buch „Velbert, Langenberg und Neviges im Luftkrieg 1939 - 1945“ vor. Foto: Lüdeke

Herausgeberin Jutta Scheidsteger und Autor Jürgen Lohbeck stellen das Buch „Velbert, Langenberg und Neviges im Luftkrieg 1939 - 1945“ vor. Foto: Lüdeke

Foto: Reinhard Lüdeke

„In Velbert ist doch nicht viel passiert“ – dieser Einstellung ist der Velberter Jürgen Lohbeck bei seiner Recherche zu den Bombardements in der Region häufig begegnet. Natürlich waren die Folgen längst nicht so katastrophal wie in den umliegenden Städten des Ruhrgebietes oder im benachbarten Wuppertal, doch auch in Velbert waren 120 Tote allein durch den Luftkrieg zu beklagen.

Ursprünglich war eine Neuauflage des 2014 erschienen und längst vergriffenen Buches „Abgestürzt“ geplant, erinnert sich Herausgeberin Jutta Scheidsteger. Intensive Forschungen Lohbecks zu den Auswirkungen des Luftkrieges brachten viele neue Erkenntnisse über Luftabwehr und Luftschutz, Stollen und Bunker: „Das führte zu einem völlig neuen Konzept.“

Die bereits veröffentlichten, nachgewiesenen Abstürze alliierter Bomber finden sich daher als eigener Abschnitt in dem neuen Buch wieder, allerdings mit einigen Änderungen. Da der Schwerpunkt auf dem Gebiet der heutigen Stadt Velbert liegt, entfielen die Kapitel über die beiden in Wuppertal und Mettmann niedergegangenen Flieger. Dagegen gibt es nun zusätzliches Material zu den drei Halifax-Maschinen, die über Windrath, Voßnacken und Langenberg abstürzten. Außerdem hat Lohbeck einen weiteren Absturz recherchieren können: So krachte am 24. Mai 1943 ein viermotoriger Bomber – vermutlich eine Halifax oder eine Avro Lancaster – auf Tönisheide. Das Leitwerk und der MG-Turm beschädigten die Tönisheider Volksschule (heute Grundschule) schwer, ein benachbartes Wohnhaus wurde völlig zerstört. Ein Tönisheider starb in den Trümmern, sechs Familien wurden obdachlos.

Die Bevölkerung suchte
auch in Stollen Schutz

Daneben finden sich zahlreiche Dokumente zu Luftschutzmaßnahmen wie den ab 1943 errichteten „Stadtstollen“. Der Schwerpunkt dieser Bauwerke lag jedoch, obwohl Neviges und Velbert Luftschutzorte erster Ordnung waren, auf der Sicherung der Industrieproduktion. So gab es zwar öffentliche Luftschutzräume in diversen Gebäuden, aber nur die beiden heute noch existierenden, besseren Schutz bietenden Hochbunker an der Wilhelmstraße in Neviges und der Bismarckstraße in Velbert. Daneben suchte die Bevölkerung Deckung in zahlreichen, in die Berge getriebenen Stollen, deren Geschichte Lohbeck ebenfalls nachgegangen ist.

Schließlich heulten die Sirenen im letzten Kriegsjahr fast täglich, wurden 1945 mindestens 190 Sprengbomben und gut 10 000 Brandbomben allein auf Velbert abgeworfen. So erlitt auch Neviges Treffer mit teils schweren Schäden: Laut Stadtarchiv gerieten etwa am 5. November 1943 bei einem Tagesangriff von US-Bombern vom Typ B17G („Fliegende Festung“) mit 289 Spreng- und etwa 4000 Brandbomben auf städtische und ländliche Gebiete des Wallfahrtsortes etliche Höfe in Windrath und Nordrath in Brand. Zahlreiche Wohnhäuser und Firmen wie Niederdrenk und Schniewind wurden schwer beschädigt, einige Gebäude völlig zerstört.

War der Ort mit acht Verletzten noch relativ glimpflich davongekommen, lag der Blutzoll des schwersten Bombenabwurfs am 26. März 1944 deutlich höher. Neviges meldete schlimmste Zerstörungen vor allem im Bereich der verwüsteten Klosterstraße. Auch Kirchplatz und Wilhelmstraße, Krankenhaus und Stadthalle wurden teils schwer getroffen und es gab, neben zahlreichen Verletzten, zwölf Tote zu beklagen. Noch schlimmer traf es beim selben Angriff Velbert mit 32 Toten, 29 Verletzten. Bittere Ironie: Viele der Opfer waren Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter.

Dass das neue Buch gerade jetzt erscheint, passt für Jutta Scheidsteger zu den Tagen des Gedenkens anlässlich des vor 100 Jahren beendeten Ersten Weltkrieges: „Es ist ein Appell zur Völkerverständigung.“ Die ist für die an dem Buch Beteiligten Praxis geworden – bis heute besteht freundschaftlicher Kontakt zu den Angehörigen der Bomberbesatzungen, die Lohbeck ausfindig gemacht hat.

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