Reiten Der Wallach Lucky vertraut Deborah blind

Krefeld · Das 19 Jahre alte Pferd hat sein Augenlicht verloren. Statt es einschläfern zu lassen, hat seine junge Besitzerin mit ihm gearbeitet und reitet es heute.

 Die 15-jährige  Deborah Bolik reitet dreimal die Woche ihr blindes Pferd Lucky. Dem macht es inzwischen auch nichts aus, wenn andere Reiter in der Halle unterwegs sind.

Die 15-jährige  Deborah Bolik reitet dreimal die Woche ihr blindes Pferd Lucky. Dem macht es inzwischen auch nichts aus, wenn andere Reiter in der Halle unterwegs sind.

Foto: wz/LOTHAR STRUECKEN

Wenn Deborah Bolik und Lucky durch die Halle reiten, ob im Schritttempo, Trab oder Galopp, wäre das eigentlich nichts Besonderes. Doch Lucky ist kein gewöhnlicher Wallach: seit einem Jahr ist er vollständig blind. Für viele Pferdebesitzer wie auch Tierärzte ist das Einschläfern des Tieres die einzige Option. So auch für die ursprüngliche Reiterin, Deborahs Mutter Ann-Kristin Bolik. „Nicht aber für meine Tochter; sie hat sich anders entschieden und das der Familie mitgeteilt“, erzählt Ann-Kristin Bolik heute sehr stolz darüber. Die damals 14-jährige Deborah hatte ein Video von einem halb erblindeten Pferd gesehen und war fest dazu überzeugt, dass das auch mit Lucky geht. „Ich wollte es zumindest ausprobieren; jedes Pferd hat eine Chance verdient.“ Und ihr Lucky erst recht.

Mit Ruhe, Körpersprache und Sicherheit wird Lucky geführt

Dass sie ihn ein Jahr später schon wieder reiten kann, selbst ohne Sattel und er sogar über Stangen geht, hätte Deborah sich allerdings trotz ihrer ganzen Zuversicht in der Form auch nicht ausmalen können. „Er hatte schon vorher ein absolutes Vertrauen zu mir“, erzählt die Jugendliche, „und er ist ruhiges und feinfühliges Pferd“. Das hat beiden sehr geholfen. Sie und hin und wieder ihre Schwester Rebecca reiten ihn in Westernart. Dabei lenken sie ihn durch den Druck ihrer Beine und leichte Gewichtswechsel, weniger durch die Zügel, wie bei der klassischen Reitweise. Der Wallach spürt die Richtung, die Deborah vorgibt und läuft voran, in völliger Dunkelheit und ohne zu sehen, was um ihn herum ist.

Wer die beiden beobachtet, sieht und spürt die Verbindung zwischen Reiterin und Pferd. Deborah ist völlig entspannt, ist in ihrer Körpersprache eindeutig und strahlt Sicherheit aus. „Ich könnte das nicht“, sagt ihre Mutter. Sie hätte Angst, Lucky würde das spüren und wiederum seine Sicherheit verlieren. Im Zusammenspiel mit Deborah ist das anders.

Vor zwei Jahren erkrankte zunächst Luckys linkes Auge. Trotz einer Operation löste sich die Netzhaut ab und er war auf dem Auge blind. Vor mehr als einem Jahr erkrankte das andere Auge an der Periodischen Augenentzündung. Einer in Schüben immer wiederkehrenden Entzündung der Aderhaut und unheilbar. „Acht bis zwölf Prozent der von Menschen genutzten Pferde erkranken weltweit daran“, sagt Ann-Kristin Bolik. Bereits in der Antike war diese Erkrankung unter dem Begriff „Mondblindheit“ bekannt.

Während die Schübe bei den meisten Tieren im Turnus von zwei Monaten auftreten, litt Lucky alle zwei Wochen darunter. Drei Monate lang stand er nur noch in seinem Stall. „Er hatte sichtbar Schmerzen“, erzählt Deborah. Das Auge musste entfernt werden. Viel hätte sie in dieser Zeit geweint, überlegt, was zu tun sei, so Deborah. Dann fällt sie für sich die folgenschwere Entscheidung: Sie will versuchen, Lucky ein Leben auch ohne Augenlicht zu ermöglichen.

Sie setzt auf Natural Horsemanship, eine Philosophie, deren Ziel eine harmonische Partnerschaft ist, bei der sich Mensch und Pferd gegenseitig Respekt und Vertrauen entgegenbringen und sich durch feine Signale verständigen können. Schon vor seiner Erblindung hat Deborah danach mit ihm gearbeitet. Und jetzt, wo er selbst sie und seine Umwelt nicht mehr sehen kann, ist dieses Vertrauensverhältnis umso wichtiger.

„Mein Ziel war es, ihn nicht zu überfordern, lieber einen Schritt zurückzugehen und langsam seine neuen Herausforderungen zu steigern“, erklärt die 15-Jährige. Nur mit Ruhe und Gelassenheit seien sie weiter gekommen.

Nach der Operation und ohne Augenlicht wurde ihm anfangs schwindelig und er wankte. „Ich habe ihn zunächst nur ein paar Schritte aus der Box herausgeführt und wieder zurück, dann habe ich ihn in die Halle geführt, nur mit ihm dort gestanden und wir sind wieder zurück.“ Behutsam steigert sie seine Ausflüge. Er folgt ihr ohne Zügel, wird mit jedem Ausflug sicherer. Sie arbeitet weiter mit ihm so wie vor seiner Erblindung. „Lucky merkt alles, nimmt meine Körpersprache genau wahr“, sagt sie erfreut. Er ist heute ein lebensfroher Wallach. Inzwischen reitet Deborah auch mit ihm aus – und Lucky spürt, sie sieht für sie Beide. Wer mehr über das Leben von Deborah und Lucky erfahren möchte, hat dazu auf Instagram die Möglichkeit unter blindtrust_horses

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