Wehrhahn-Bomber lebte nebenan

Der mutmaßliche Attentäter hatte eine Adresse auf der Straße „Am Feldkothen“, bestätigen Nachbarn in Tiefenbroich.

Wehrhahn-Bomber lebte nebenan
Foto: Achim Blazy

Tiefenbroich. Es ist schwierig, ein ganz konkretes und vor allem aktuelles Bild des mutmaßlichen Wehrhahn-Attentäters Ralf S. zu zeichnen. Zu diffus sind manche Angaben aus seinem Umfeld. Dass er auf der Straße Am Feldkothen im Stadtteil Tiefenbroich wohnte, haben Nachbarn bestätigt. Doch die wollten über den Mann, der in der vergangenen Woche bundesweit in die Schlagzeilen geriet, nichts Näheres sagen. Eine Frau, die mit S. zusammen in einem Haus wohnte, betonte, dass man sich im Flur noch nicht einmal gegrüßt habe. Engere Kontakte innerhalb der Nachbarschaft gab es offenbar nicht.

Frühere Bekannte aus dem Umfeld des 50-Jährigen berichten, dass S. vor Jahren der Rockabilly-Szene in Ratingen angehörte. Auf der Facebook-Seite von S. gibt es in der Tat ein Bild, das aus dieser Zeit stammen könnte. Das Gesicht des Mannes ist allerdings nie komplett zu sehen. Mal verdeckt eine Sonnenbrille die Augenpartie, mal wurden die Fotos von hinten angefertigt. Oder S. hält sich einen Gegenstand vor das Gesicht. Auf der Facebook-Seite von S. gibt es Bilder von Schießübungen und das damalige Fahndungsplakat des mutmaßlichen Berlin-Attentäters Anis Amri zu sehen, kommentiert mit der Frage, wer Amri denn sei. Doch es gibt auch andere Fotos, die den Hundeliebhaber Ralf S. zeigen.

Fakt ist: Mit der Verhaftung des arbeitslosen ehemaligen Bundeswehrsoldaten sind die Ermittlungen zum Wehrhahn-Anschlag noch lange nicht abgeschlossen. Es seien einige Spuren zu verfolgen, denen man in den vergangenen zwei Jahren nicht nachgehen konnte, um S. nicht zu warnen, sagte Staatsanwalt Ralf Herrenbrück. „Wir wollten auch nicht riskieren, dass der Verdächtige erfährt, wie viel wir wissen.“

Neue Zeugen, geänderte Aussagen und Indizien, die kurz nach der Tat noch nicht einzuordnen waren, seien die Grundlage des Haftbefehls, so Herrenbrück. Aber auch auf Gentechnik setzen die Ermittler: 2015 wurden mehrere Gegenstände, darunter das Geländer des S-Bahnhofs, an dem der Sprengsatz hing, im Labor des Landeskriminalamts mit neuen Methoden auf DNA untersucht. Zunächst ohne Erfolg, doch am vergangenen Dienstag wurde bei der Verhaftung von Ralf S. auch dessen genetischer Fingerabdruck genommen. Und der soll mit den Tatortspuren abgeglichen werden.

Der Hinweis eines damaligen Strafgefangenen, dem S. sich im Kirchenkreis der JVA Castrop Rauxel angenähert hatte, hatte die Ermittlungen gegen S. vor zwei Jahren wieder in Gang gebracht. S. hatte sich vor dem Mann mit dem Sprengstoffanschlag, bei dem im Juli 2000 zehn Menschen teils schwer verletzt worden waren und ein ungeborenes Kind im Mutterleib getötet wurde, gebrüstet.

Nun suchen die Ermittler weitere Zeugen, darunter zwei Männer, die vor 16 Jahren zur Neonazi-Szene gehörten und in langen Ledermänteln und mit Kampfhunden Zuwanderer provoziert hatten, die gegenüber von S.’ Militaria- und Outdoorladen Deutschunterricht nahmen. In der Auseinandersetzung mit diesen Sprachschülern sehen die Ermittler ein mögliches Motiv für den späteren Anschlag auf eine andere Klasse derselben Sprachschule.

In Tiefenbroich, so berichten Anwohner, war die Festnahme des mutmaßlichen Wehrhahn-Attentäters kaum ein Thema. Man ging nach den ersten Medienberichten schnell wieder zum ganz normalen Alltag über — auch wenn sich auf der beschaulichen Straße Am Feldkothen immer wieder Kamerateams zeigten.

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