NS-Terror Ausstellung erinnert an deutsch-jüdische Spitzensportler, die aus Bestenlisten verschwanden

Eine Ausstellung erinnert an 17 deutsch-jüdische Spitzensportler, die durch den NS-Terror in Vergessenheit gerieten. Jetzt sind die Figuren vor dem Fußballmuseum in Dortmund zu sehen.

NS-Terror: Ausstellung erinnert an deutsch-jüdische Spitzensportler, die aus Bestenlisten verschwanden
Foto: Ekkehard Rüger

Dortmund. „Wie große, lebendige Stolpersteine“ stehen sie da, auf dem Platz der Deutschen Einheit vor dem Deutschen Fußballmuseum in Dortmund, gleich gegenüber dem Hauptbahnhof. Wo so viel Deutsches im Namen geführt wird, da passen sie gut hin, diese deutschen Sporthelden. Rudi Ball, Lilli Henoch, Ralph Klein, Julius und Hermann Baruch zum Beispiel. Einst haben sie dem deutschen Sport ihren Stempel aufgedrückt. Dann verschwanden sie plötzlich aus den Bestenlisten und den Mitgliederverzeichnissen. Ausradiert — immer der Name, in vielen Fällen auch das Leben.

Die Formulierung mit den Stolpersteinen stammt von Henry Wahlig. Mit der Aktion „Stolpersteine“ erinnert der Kölner Künstler Gunter Demnig seit 25 Jahren an die Opfer des Nationalsozialismus. Quer durch Europa finden sich kleine Messingplatten im Boden — dort, wo die Menschen ihren letzten Wohnort hatten, bevor der NS-Terror sie traf. Und Historiker Wahlig verfolgt mit den lebensgroßen Figuren der Sportasse ein ähnliches Ziel. „Das waren ganz herausragende deutsche Sportler. Und nur weil sie jüdischen Glaubens waren, sind sie in der Regel aus der Geschichte herausgeschrieben worden.“ Noch bis in die jüngste Vergangenheit waren viele von ihnen völlig vergessen. Jetzt nicht mehr. Man kann sie nicht übersehen, hier vor dem Museum. Sie erobern sich ihren Platz im kollektiven Sportgedächtnis der Nation zurück. Ihrer Nation.

Fußballmuseum in Dortmund: Erinnerung an jüdische Sportler
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Fußballmuseum in Dortmund: Erinnerung an jüdische Sportler

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Emanuel Lasker zum Beispiel, Schwager von Else Lasker-Schüler. Heiligabend 1868 in (ja!) Berlinchen geboren, entwickelt sich der Mathematiker zu einem der wichtigsten Schachspieler der Welt. Von 1894 bis 1921, also 27 Jahre, behauptet er sich als Weltmeister. „Das hat vor und nach ihm nie wieder ein Spieler geschafft“, sagt Stefan Mühlhofer, Leiter des Dortmunder Stadtarchivs. Aber mit der Machtergreifung der Nazis wird der gute Freund Albert Einsteins zur Flucht gezwungen. Sein Name verschwindet aus der öffentlichen Wahrnehmung. Anfang 1941 stirbt Lasker in New York.

Oder die Cousins Alfred und Gustav Felix Flatow. Die beiden Turner bescheren Deutschland bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Athen die ersten Goldmedaillen. Aber die nationalistische Turnerschaft ist ab 1933 besonders eifrig. Die Nazis sind gerade frisch an der Macht, da melden die ersten Vereine schon unaufgefordert, sie hätten alle jüdischen Mitglieder bereits ausgeschlossen. So geht es auch Alfred Flatow nach 46-jähriger Mitgliedschaft in seinem Verein. Er bleibt trotzdem in Berlin, wird 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet. Sein Cousin flieht in die Niederlande, wird verraten und verhungert 1945 ebenfalls in Theresienstadt.

Sporthistoriker Wahlig arbeitet noch am Institut für Sportwissenschaft der Universität Hannover, als im Vorfeld der European Maccabi Games 2015 das Angebot kommt, sich an der Konzeption einer Ausstellung zu beteiligen. Die größte jüdische Sportveranstaltung Europas soll zum ersten Mal in Deutschland ausgerichtet werden — ausgerechnet in Berlin, wo die Nazis 1936 versucht hatten, mit ihren Propaganda-Spielen die Welt zu täuschen. Die Ausstellung „Zwischen Erfolg und Verfolgung“ will den unterschlagenen Stars von damals wieder den Platz einräumen, der ihnen gebührt. Zum ersten Mal sind die 17 Figuren im Sommer 2015 auf dem Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof zu sehen.

Berlin 1936 hätte der Höhepunkt der Karriere von Gretel Bergmann werden sollen. Die Weltklasse-Athletin war nach England emigriert, von den Nazis aber zur Rückkehr genötigt worden, weil man ihrer Familie andernfalls Repressalien angedroht hatte. Nun soll sie die jüdische Vorzeigesportlerin werden, um Boykotts abzuwenden. Doch obwohl sie kurz vor den Spielen den deutschen Rekord einstellt, wird ihr die Teilnahme schließlich doch verweigert, nachdem sichergestellt ist, dass sich die US-Delegation schon auf dem Weg nach Deutschland befindet. Enttäuscht wandert sie in die USA aus. Deutschen Boden wird sie erst 1999 wieder betreten — und erst 2009 nimmt der Deutsche Leichtathletikverband ihren Rekordsprung von 1936 wieder in seine Statistiken auf. Gretel Bergmann stirbt am 25. Juli 2017 in New York, im Alter von 103 Jahren.

Am Freitag wird der spanische Weltmeister-Trainer Vincente del Bosque in Nürnberg mit dem Walther-Bensemann-Preis ausgezeichnet. Der Namensgeber des Preises ist auch in Dortmund zu sehen. Eine Ausstellung vor dem Fußballmuseum ohne Fußballer — das wäre auch schwer vorstellbar gewesen. Bensemann, Mitbegründer des Deutschen Fußball-Bundes und zahlreicher Fußballvereine, darunter des Vorgängerclubs von Bayern München, dazu Gründungsvater des „Kicker“-Sportmagazins, gilt als der wichtigste Fußballpionier Deutschlands. Aber auch er, der Fußball immer als Weg der Völkerverständigung verstanden hat, verschwindet 1933 von der Bildfläche. Die Kicker-Redaktion muss er verlassen, ein Jahr später stirbt er in der Schweiz mit gebrochenem Herzen.

Nicht weit von Bensemann steht Gottfried Fuchs. Sein Torrekord gilt bis heute: Beim 16:0-Sieg der Deutschen über Russland während der Olympischen Spiele 1912 trifft er zehnmal. Mit seinem jüdischen Mitspieler und Nationalmannschafts-Kollegen Julius Hirsch spielt Fuchs im Sturm des Karlsruher FV. Während ihm später die Flucht gelingt, lässt sich Hirsch, überzeugter Patriot und Soldat im Ersten Weltkrieg, aus Sorge um die Familie von seiner nicht-jüdischen Frau scheiden, wird schließlich nach Auschwitz deportiert — und dort direkt bei der Ankunft ermordet. Sein letztes Lebenszeichen ist eine Geburtstagskarte an seine Tochter Esther, abgestempelt am 3. März 1943 in Dortmund.

Die meisten der Sporthelden finden bei ihrem Verschwinden keine Fürsprecher. Die Leistungen, der Nationalstolz, die Vereinsfreundschaften — alles vergessen. „Wenn ich diese Geschichten heute jungen Menschen näher bringe, dann auch, um zu zeigen, dass wir eine andere Zivilcourage zeigen müssen“, sagt Henry Wahlig, heute für das Kultur- und Veranstaltungsprogramm des Fußballmuseums verantwortlich. Und er hofft, dass die Beispiele der Ausstellung ein Denkanstoß sein können, um vor Ort im Heimatverein den blinden Flecken in den Bestenlisten und Mitgliederverzeichnissen nachzugehen.

Und dann ist da noch Sarah Poewe. Eine Nachgeborene, 1983 in Kapstadt zur Welt gekommen. Bei den Olympischen Spielen in Athen holt die Schwimmerin 2004 an der Seite von Franziska van Almsick Bronze in der Staffel — und ist damit die erste jüdische Athletin, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine olympische Medaille für Deutschland gewinnt. Dass ihre jüdische Herkunft in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielt, ist ihr gerade recht. Denn so will sie gesehen werden: als deutsche Sportlerin, nicht als jüdische. Die anderen 16 hatten sich auch so verstanden.

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