Wer war Else Lasker-Schüler?

Wuppertals berühmte Tochter wäre 2019 150 Jahre alt geworden. Die WZ widmet der Dichterin Else Lasker-Schüler eine Serie.

Wer war Else Lasker-Schüler?
Foto: Archiv Else Lasker-Schüler Gesellschaft

Nach 1975 ehrt Deutschland 2018 eine seiner größten Künstlerinnen erneut mit einer Briefmarke. Die erste zeigt ein Porträt von Else Lasker-Schüler, die zweite einen Ausschnitt aus einer ihrer Zeichnungen anlässlich ihres 150. Geburtstags. Geboren wurde sie als Elisabeth Schüler am 11. Februar 1869 in Elberfeld, ist am 22. Januar 1945 in Jerusalem gestorben. 1932 erhielt sie die höchste deutsche Literaturauszeichnung, den Kleistpreis. Ein Jahr später musste die Jüdin in die Schweiz flüchten. Dort wurde ihr 1939 das Visum für die Rückkehr aus Palästina verweigert.

Sie gilt als Avantgardistin der Moderne und des Expressionismus in der Literatur. Zugleich war sie eine Poetin der Zeichenfeder. Ihre Bilder wurden 1937 als „entartet“ aus der Berliner Nationalgalerie beschlagnahmt. Für Gottfried Benn war sie „die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte“. Friedrich Dürrenmatt feierte sie als Retterin der deutschen Sprache in barbarischer Zeit. Erich Fried nannte sie einen „Germanistenschreck“, Kafka konnte sie „nicht leiden“, aber für Karl Kraus war sie „die größte unwegsamste Erscheinung des modernen Deutschland“.

Kein Wunder, dass bis heute etwa 450 Komponisten ihre Gedichte vertont haben und junge Leute im Internet Videos zu und über Else Lasker-Schüler und ihre „Lyrics“ einstellen. Die nach ihr benannte Literaturgesellschaft hat mehr als 1200 Mitglieder. Gar 50 000 Menschen besuchten 2011 eine Ausstellung ihrer Bilder im Hamburger Bahnhof zu Berlin. Man weiß, dass sie eine fleißige Briefschreiberin war (651 Briefe sind dokumentiert).

Doch wer war Else Laser-Schüler wirklich? Wo war sie zu Hause? Noch heute sind die Fragen schwer zu beantworten. Geboren wurde sie als Tochter des Handelsagenten und späteren Privatbankiers Aron Schüler und seiner Ehefrau Jeanette. Als 50-Jährige beschreibt die längst berühmte Künstlerin in der Lyrikanthologie Menschheitsdämmerung sich selbst mit den Worten: „Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam im Rheinland. Ich ging bis elf Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich…. In Gedanken im Himmel, betreue ich die Stadt Theben und bin ihr Prinz Jussuf. Meine Bücher laufen so herum und werden einmal im Meer ertrinken. Früher habe ichs manchmal nicht geglaubt, jetzt aber weiß ich es; ich bin die Else Lasker-Schüler — leider.“

Dass sie Else Lasker-Schüler — leider — war und Prinz von Theben so gerne sein wollte, zeigt den Widerspruch, der sie lebenslang beschäftigt hat. Sie war Träumerin und Traumdeuterin zugleich, so das „Marbacher Magazin 71“, das sich auf 400 Seiten mit ihr befasst. Die Sekundärliteratur über ELS ist fast unüberschaubar. Der Suhrkamp Verlag hat sie mit einer gewichtigen Gesamtausgabe gewürdigt, was selten ist für Dichter, noch seltener für Dichterinnen. Dennoch ist sie immer noch einem breiten Publikum fremd — wie so viele Schriftsteller, die ins Exil verbannt wurden.

Gemeint ist damit nicht, dass die Nazis schrecklich ganze Arbeit geleistet haben. Denn die wollten mit Zensur, Bücherverbrennungen und Vertreibung die Namen der Besten unserer Kultur ein für allemal aus dem nationalen Gedächtnis streichen. Im Fall von Else Lasker-Schüler ist es ihnen nicht gelungen. Erst in diesem Frühjahr wurde ein Denkmal in Salzburg eingeweiht, das auch an Else Lasker-Schüler erinnert: Am 30. April 1938 waren in der Mozartstadt auch ihre Bücher hingerichtet worden.

Nach 1945 waren ihre Werke im Kösel Verlag wiederveröffentlicht worden. Nicht wenige Leser hielten sie daraufhin für eine zum Katholizismus konvertierte Jüdin. Damit aufgeräumt haben inzwischen mehrere ELS-Biographien. Zu nennen wären vor allem die von Sigrid Bauschinger, Jakob Hessing, Erika Klüsener, Kerstin Decker und Meike Feßmann. Trotzdem: Wer die Daten ihres Lebens und ihrer Dichtung in ein schlüssiges Koordinatensystem zu bringen hofft, sieht sich enttäuscht. Den Versuch, dieses zu ändern, unternimmt diese Artikelserie.

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